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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0071
Der süddeutsche Weltklerus im 16. Jahrhundert

Dementsprechend stellte sich der Friedhof dem Betrachter keineswegs als ein Ort der Besinnung
dar; vielmehr hatte man hier den allgemeinen Treffpunkt und Versammlungsplatz des
Dorfes vor sich21. Eine heilige Aura trennte die Hirten von ihren Schafen weder in räumlicher
noch in sozialer Hinsicht.

Dies alles müssen wir im Auge behalten, wenn wir uns dem konkreten Verhalten des niederen
Klerus in Amt und Leben zuwenden.

Darüber informieren uns drei Quellengattungen, nämlich die Synodalstatuten, die kirchlichen
Strafakten sowie die Pfarrvisitationsprotokolle. Da die Synodalstatuten lediglich allgemein
formulierte Verbote enthalten, bleibt unklar, in welchem Umfang gegen solche Bestimmungen
verstoßen wurde - ja, es ist nicht einmal sicher, ob die genannten Verhaltensweisen
überhaupt üblich waren - die Bischöfe übernahmen die Texte nämlich gegenseitig voneinander
, ohne daß in jedem Falle ein Bezug zur tatsächlich bestehenden Lage nachgewiesen werden
kann.

Die kirchlichen Strafakten mögen sicherlich ein Bild abgeben, das im Vergleich zu jenem
der Synodalstatuten schärfer und plastischer erscheint, aber dennoch ebenfalls mit beträchtlichen
Mängeln behaftet ist, und zwar kam erwiesenermaßen nur ein kleinerer Teil der justitia-
blen Verhaltensweisen zur Anzeige. Die Offizialatsakten erfassen deshalb lediglich einen
mehr oder weniger eng umrissenen Ausschnitt aus der historischen Wirklichkeit; sie sagen
mithin mehr aus über die Denunzianten als über die Denunzierten22.

Die zuverlässigsten und am ehesten umfassenden Informationen liefert uns die dritte der
genannten Quellengattungen, das sind die Pfarrvisitationsprotokolle. Ohne an dieser Stelle
weiter auf die Geschichte der Kirchenvisitation eingehen zu wollen, muß doch gesagt werden,
daß im deutschen Sprachraum das Visitationswesen vor der Reformation an einem Tiefpunkt
angekommen war: Wenn schon überhaupt einmal visitiert wurde, dann geschah es zur Erhebung
von Finanzdaten. Nur eine einzige Ausnahme ist bekannt - Die Visitation des Bistums
Eichstätt vom Jahre 1480. Aus Mangel an vergleichbaren Quellen für die ersten Jahre des Reformationsjahrhunderts
werden wir auf diese Quellen notwendigerweise zurückgreifen müssen23
.

21 Philippe Aries: Geschichte des Todes. München 1980, S. 83-94.

22 Lang: Würfel, Wein und Wettersegen (wie Anm. 2), S. 220.

23 Ebd. S. 220-222. Bei Drucklegung meiner Studie über das Eichstätter Visitationsprotokoll war noch
nicht erschienen: Paul Mai/Marianne Popp (Hg.): Das Regensburger Visitationsprotokoll von 1508. In:
Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 18 (1984), S. 7-316. Diese Quelle erreicht jedoch bei weitem
nicht die Informationsdichte des Eichstätter Texts. Vielmehr stehen bei dem Regensburger Aktenstück
die materiellen Gesichtspunkte ausnehmend stark im Vordergrund, wie das ja auch sonst bei den erhaltenen
spätmittelalterlichen Visitationsakten aus dem deutschsprachigen Raum die Regel ist. - Vgl.
Lang: Würfel, Wein und Wettersegen (wie Anm. 2), S. 200. Unter die genau 1000 Pfarreien, welche in der
Regensburger Quelle genannt sind, zählen auch die vakanten Stellen (z. B. Nr. 841, 848, 919). Die häuslichen
Verhältnisse beispielsweise fallen dem Visitator nur sporadisch und eher zufällig ins Auge. Im Bistum
Eichstätt hingegen mußten die Priester eine lange und sehr gründliche Untersuchung über sich ergehen
lassen. Die von Paul Mai aus der von ihm edierten Quelle eruierten Konkubinarierzahlen sind zudem
höchst fehlerhaft und unvollständig. Von den S. 22 Anm. 9 aufgelisteten 78 Belegen sind zwei unzutreffend
(Nr. 253 und 373), doch kommen andererseits weitere 121 (sie!) hinzu, nämlich die Nummern 33, 34, 35,
37, 60, 86, 109, 123, 159, 161, 171, 176, 177, 197, 280, 282, 287, 303, 304, 319, 341, 342, 343, 347, 362, 363,
364, 367, 381, 391, 418, 423, 427, 441, 444, 466, 472, 476, 478, 486, 494, 495, 505, 526, 529, 531, 532, 534,
540, 541, 560, 582, 587, 595, 599, 604, 624, 635, 641, 645, 681, 687, 688, 694, 697, 699, 710, 712, 713, 714,
734, 741, 745, 777, 786, 792, 793, 794, 795, 796, 800, 801, 815, 816, 820, 822, 833, 836, 839, 847, 857, 860,
865, 870, 877, 880, 881, 883, 885, 886, 889, 892, 895, 896, 899, 904, 905, 910, 911, 912, 918, 920, 922, 926,
952, 979, 982, 986, 989, 992. Nun ist aber der Gipfel wissenschaftlicher Akkuratesse keinesfalls erreicht,
wenn Mai in der Einführung seiner Edition meint, zu dem Schluß kommen zu müssen, es »lebten nur ein
knappes Zehntel mit einer Konkubine zusammen« (S. 22). Vgl. auch Paul Mai/Marianne Popp (Hg.):
Das Regensburger Visitationsprotokoll von 1526. In: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 21

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