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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0113
»Es war wie überall, eben kleiner« - Französische Besatzung in Burlaclingen (1945-1948)

haben. Dann war eine bemerkenswerte Konkretheit und Intensität feststellbar, mit der sich
diese Geschehnisse in das Gedächtnis der Frauen und Männer eingegraben haben.

Geschichte und Erinnerung haben verschiedene Bewegungsrichtungen und -formen.
Während in der Geschichte die Vergangenheit auf die Gegenwart zufließt, greift in der Erinnerung
die Gegenwart subjektiv und assoziativ in die Vergangenheit hinein.

»Erzählen heißt Erinnern und Erinnern heißt Wiederbeleben und Wiederbeleben heißt
Wiedererleben. (...) In Erinnerung rufen heißt ja nicht nur, zurückliegende Erfahrungen, sondern
damit verbundene reale (und aktualisierbare) Emotionen >wach<-rufen, beleben, ihnen im
Innern einen seelischen Raum geben, in ihnen gewissermaßen noch einmal die Vergangenheit
erleben«10.

Erinnerung beinhaltet - stets beeinflußt von der Gegenwart - die subjektive Seite der Geschichte
, was einem die Geschehnisse bedeuten und wie man sie erlebt hat. »Man kann sich
nur erinnern, wenn man dem Erlebten eine Bedeutung zumißt«1'.

Da ein Erlebnis immer einen bestimmten, kleinen oder großen, jedoch von Gefühlen kommentierten
Nachhall in uns hinterläßt, können Erinnerungen im Gegensatz zu manchen historischen
Quellen nie objektiv sein.

Die Erinnerungen der Burladinger/innen, die als subjektive Erlebnisberichte und Deutungsversuche
gewertet worden sind, waren immer an die eigene Lebensgeschichte geknüpft,
die den Rahmen für ihre Erzählungen abgegeben hat.

Bei der Rekonstruktion der lokalen Nachkriegsgeschichte gab es bestimmte wiederkehrende
Themen, die Schwerpunkte in der Erinnerung darstellten und neben dem individuellen Erinnerungsvermögen
auch ein kollektives Gedächtnis sichtbar werden ließen.

Die Darstellung der Geschichte - der eigenen und damit Teil der kollektiven -, die Erinnerung
ist immer von der »momentanen persönlichen Situation« und den »zeitgenössischen gesellschaftlichen
Umständen«12 geprägt. »Wenn sich lebensgeschichtliche Erfahrung je nach
Klassenlage und -bewußtseinsgrad in unterschiedlicher Betroffenheit und unterschiedlicher
Dokumentationsfreude äußert, steht zu vermuten, daß auch das objektiv Neue nicht einheitlich
im Gedächtnis bewahrt wird. Dies in mehrfacher Weise: Nicht alles wird stets dokumentiert
; die Ausblendungen richten sich jeweils nach dem sozialen und politischen Standort. (...)
Da die Betroffenheit durch das historische Ereignis von der sozialen Lage abhängig ist, zeigen
sich auch Unterschiede hinsichtlich der Fragen, was aus der kollektiven Erinnerung ausgeschieden
, was in ihr bewahrt wird und in welches Medium sie sich bettet«13.

Folglich gibt es verschiedene Formen der Gedächtnisse, verschiedene Formen des Vergessens
und Verdrängens, einen wechselseitigen Prozeß von Erinnern und Vergessen, der die
Grenzen des Erinnerungsvermögens verdeutlichen kann. »Solche Erlebnisse kann man nicht
einfach vergessen. Man kann nicht daran hängenbleiben, aber irgendwie kommt immer einmal
wieder etwas heraus«14. »Also wenn man solche Sachen miterlebt hat, dann denkt man oft daran
. Das kann man nicht einfach vergessen«15. »Solche Dinge vergißt man nicht, das kann man
nicht vergessen. Man vergißt wohl Zahlen und Daten, aber die eigentlichen Dinge weiß
man«16.

10 Utz Jeggle: Das Initial. In: Kriegserinnerungen. Tübinger Korrespondenzblatt Nr. 38, Januar 1991.
Hg. im Auftrag der Tübinger Vereinigung für Volkskunde e.V., S. 33f.

11 Danigel Bertaux und Isabelle Bertaux-Wiame: Autobiographische Erinnerung und kollektives
Gedächtnis. In: Lutz Niethammer (Hg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der
»Oral History«. Frankfurt 1985, S. 151.

12 Ebd. S. 152.

13 Bausinger (wie Anm. 1), S. 173, 175/76.

14 Interview mit Herrn G. am 29.4.1991.

15 Interview mit Frau C. am 12.3.1991.

16 Interview mit Frau K. am 16.10.1991.

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