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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0184
Neues Schrifttum

genüber dem Kreis und seinen Ständen in der Tat ein gewisser Zug der Planlosigkeit, Widersprüchlichkeit
und auch Sprunghaftigkeit an.

Die Kreisstände wiederum lavieren zwischen einer prinzipiellen Reichs- und Kaisertreue
einerseits und Widerstand gegen Übergriffe der österreichischen Territorialpolitik und gegen
eine allzu bedingungslose Instrumentalisierung durch die habsburgische Haus- und Großmachtpolitik
andererseits. Allein das Herzogtum Württemberg indessen verfügt über das erforderliche
Eigengewicht, um sich mit allerdings begrenztem Erfolg gelegentlich allzu weitgehenden
kaiserlichen Gefolgschaftswünschen zu entziehen und beispielsweise in der europäischen
Krise von 1726 oder zu Beginn des Polnischen Erbfolgekrieges einen von der Mehrheit
der Kreisstände allerdings nicht unterstützten Neutralitätskurs zu verfolgen. Neipperg betont
völlig zu Recht den höchst realen Hintergrund der kaiserlichen Machtposition im deutschen
Südwesten: Das engmaschige Netz aus Beziehungsgeflechten und Abhängigkeitsstrukturen
auf und unterhalb der formellen Ebene sowie das enorme Gewicht des Kaisers als oberster
Gerichtsherr im Reich vor allem auch in Matrikularfragen, Untertanen- und Nachbarschaftskonflikten
der einzelnen Stände und darüberhinaus auch in Auseinandersetzungen innerhalb
des Kreises. Daneben kann sich Wien immer wieder auf angesehene und einflußreiche Fürsprecher
aus den Reihen der Kreisstände stützen, die - wie der zunächst als kaiserlicher Kreisgesandter
und sodann als Prinzipalkommissar am Reichstag tätige Fürst Froben Ferdinand
von Fürstenberg-Meßkirch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts - mit diplomatischem
Geschick und Erfolg eine kaiserliche Partei formieren und die Kreispolitik nachhaltig beeinflussen
.

Der Verlauf des im Mittelpunkt von Neippergs Untersuchung stehenden Matrikular- und
Direktoralstreites seit 1718 enthüllt indessen vor allem ein gewandeltes Verhältnis zwischen
den einstigen machtpolitischen und konfessionellen Antipoden im Südwesten, Württemberg
und Habsburg, die bereits in den Jahrzehnten vor dem Politik-Umschwung unter dem katholischen
Herzog Karl Alexander vor allem in der Militärpolitik und bei den kaiserlichen Kommissionen
zu einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit finden. Der Leidtragende
dieser allerdings zunächst nur punktuellen Annäherung Württembergs an den Kaiser ist der
Bischof von Konstanz, der traditionelle Verbündete Wiens im Kreis, dessen Versuch, im Matrikular
- und Direktoralstreit das Machtverhältnis im Kreis zu seinen Gunsten und zu Lasten
des Herzogtums zu verschieben, aufgrund der ausbleibenden kaiserlichen Unterstützung
kläglich scheitert. Als Osterreich die Lähmung des Kreises während des Konflikts zu einer Intensivierung
seiner Territorialpolitik nicht zuletzt auch gegen das Hochstift ausnützt, kann
der Bischof nur durch eine Wiederannäherung an Württemberg seine Stellung im Kreis und
gegenüber Osterreich stabilisieren. Der Vorgang zeigt exemplarisch auf, daß Einfluß und Position
des kleinen Hochstiftes in einem sehr viel stärkeren Maße von einem Funktionieren der
Kreisverfassung und zumal des Kreisausschreibeamtes abhängen als dies bei Württemberg der
Fall ist. Bemerkenswert ist überdies, daß bei den sich im Matrikular- und Direktoralstreit bildenden
Koalitionen und Parteiungen die konfessionelle Ausrichtung der Kreisstände kaum
noch eine Rolle spielt.

Wie Neippergs Studie zeigt, vermag auch der Matrikular- und Direktoralstreit seit 1718 das
wohl wesentlichste Strukturproblem des Schwäbischen Kreises vom 16. Jahrhundert bis zum
Ende des Alten Reiches, das gravierende Mißverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit und Lastenbeteiligung
der Kreisstände, nicht zu lösen. Der Schwäbische Kreis vermittelt mithin ein
durchaus ambivalentes Erscheinungsbild: Dem gerade auch in der jüngeren Forschung vielgerühmten
guten Funktionieren dieses Reichskreises steht eine partielle Reformunfähigkeit an
entscheidender Stelle gegenüber. Neipperg ist es mit seiner erfreulich konzisen politik- und diplomatiegeschichtlichen
Untersuchung gelungen, die Ambivalenzen, Gegensätze und Konflikte
noch mehr zu verdeutlichen, die sowohl die Binnenstruktur des Kreises wie auch sein
Verhältnis zu Kaiser und Österreich nachhaltig und durchgehend prägen und bestimmen. Zu
wünschen wäre, daß nach den verdienstvollen Untersuchungen zu Kreisverfassung, Kreisor-

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