Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 221
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0235
Sophie Scholl und das weibliche Reichsarbeitsdienstlager Krauchenwies

Dank dieser »Nischen« übersteht Sophie Scholl die Krauchenwieser RAD-Zeit letztlich
nicht nur unbeschadet, sondern geht sogar innerlich gestärkt und noch überzeugter in ihrer
ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus aus diesem halben Jahr hervor.
Nicht zuletzt auch als Folge der in der eigenen Familie gemachten Erfahrungen mit dem
braunen Unrechtsregime53 ist ihre Resistenz - verstanden als individuelle Ablehnung und
Abwehr des Nationalsozialismus - dabei von Anfang an bereits soweit ausgeprägt, daß sie
gegen alle Indoktrination und Verlockungen gänzlich immun ist. Einem Tagebucheintrag von
Mitte April 1941 zufolge bemüht sie sich im RAD-Lager sehr darum, mich von den augenblicklichen
Einflüssen möglichst unberührt zu halten. Nicht von den weltanschaulichen und
politischen, die mir bestimmt nichts mehr ausmachen, aber von den Stimmungseinflüssen. II
faut avoir un esprit dur et le cceur tendre54. Der massive Zwang und die weitreichende Vereinnahmung
, denen die Mädchen beim Reichsarbeitsdienst beständig ausgesetzt sind, lassen die
Distanz und Ablehnung bei Sophie Scholl in den Krauchenwieser Monaten unverkennbar
weiter wachsen. In einem Brief an ihren Freund, den Offizier Fritz Hartnagel, klagt sie Mitte
April 1941: O sie nehmen einem mit diesem sturen Kommißgeist, der überall herrscht, bald
jede Möglichkeit, seinen armen Geist noch ein wenig zu retten vor ihren Uniformen55. Ihrem
Bruder Hans schreibt sie mit markanter Ironie im Juni, daß die Mädchen im Lager nach der
Rückkehr aus dem körperlich anstrengenden Außendiensteinsatz leider (...) aber noch nicht
in Ruhe gelassen (werden), es wird eben auch für unser geistiges Wohl gesorgt56.

Sophie Scholl sehnt sich, trotz der geschilderten positiven Erfahrungen im Außendienst
sowie den sich bietenden Rückzugs-Nischen, dem Ende des Arbeitsdienstes entgegen und
rechnet in zahlreichen Briefen die ihr in Krauchenwies noch verbleibende Dienstzeit vor57. Es
ist daher eine Schreckensbotschaft für sie, als sie Anfang August 1941 erfährt, daß sie aufgrund
eines Führererlasses in direktem Anschluß an den Arbeitsdienst wiederum unter den Fittichen
des RADwJ weitere sechs Monate Kriegshilfsdienst ableisten muß58. Noch immer unter dem
Eindruck des ihr bevorstehenden weiteren halben Jahres in Unfreiheit enthält ein Brief an
ihren Bruder Hans vom 7. September 1941 so etwas wie eine Bilanz ihrer damaligen Haltung
zum Nationalsozialismus am Ende der Krauchenwieser RAD-Zeit: Jetzt bleibe ich also noch
ein halbes Jahr in der Zwangsjacke, eigentlich hätte die Zeit bis jetzt schon genügt, um meine
Abscheu und meine Verachtung dafür ganz reifen zu lassen. Gleichzeitig spürt sie aber jetzt so
recht, daß mich nichts zwingen wird, ein herrliches Stärkegefühl habe ich manchmal. (...) Es
gibt viel, viel schönes hier, mir reicht es lang. Und da ich ja viel wichtigere Dinge zu denken
und zu tun habe, kümmert mich das Lager wenig und alles was drin- und dranhängt59.

Nach der Rückkehr aus einem überraschend gewährten Sonderurlaub im Ulmer Elternhaus
erfährt Sophie Scholl in Krauchenwies Ende September 1941, daß sie ab Oktober ihren

53 Wegen seiner Betätigung in der verbotenen bündischen »d.j.1.11.« (Deutsche Jungenschaft v. 1. 11.
1929) war ihr Bruder Hans im November 1937 über fünf Wochen, andere Mitglieder der Familie kurzzeitig
inhaftiert gewesen (vgl. Vinke (wie Anm. 33), S. 48ff.).

54 Tagebuch-Eintrag v. 10.4. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 211). Inge Jens zufolge (Anmerkungen, S. 345)
wurde dieser Satz von Jacques Maritain (»Man muß einen harten Geist und ein weiches Herz haben«) von
Otl Aicher im Ulmer Kreis um die Geschwister Scholl und ihre Freunde eingeführt.

55 Brief an Fritz Hartnagel v. 18. 4. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 218).

56 Brief an Bruder Hans v. 23. 6. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 228).

57 Als Beispiele Briefe an Bruder Werner v. 4. 8. u. 27. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 229,233).

58 Brief an Bruder Hans v. 2. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 228). Dem »Erlaß des Führers und Reichskanzlers
über den weiteren Kriegseinsatz des RADwJ« v. 29. 5. 1941 (Reichsgesetzblatt 1941 I S. 463)
zufolge haben junge Frauen ab Oktober 1941 einen sog. »Kriegshilfsdienst« in den Büros der Wehrmacht
und bei Behörden, in Krankenhäusern und bei sozialen Einrichtungen sowie bei hilfsbedürftigen, insbesondere
kinderreichen Familien zu leisten. Zum Hinterprund vgl. Bajohr (wie Anm. 5), S. 354f.

59 Brief an den Bruder Hans v. 7. 9. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 234f.).

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