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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0109
Die 48er Revolution in Hohenzollern mentalitätsgeschichtlich betrachtet

dieses Vorgangs einer Zurücknahme der Aggression war die als gigantisches Unterwerfungsritual
inszenierte Huldigung der Untertanen vor dem neuen Landesvater, dem König von
Preussen, 1851. Dieser wurde übrigens nicht müde, den neuen schwäbischen Untertanen ihre
Untreue gegenüber den früheren Fürsten vorzubuchstabieren4.

Damit nähern wir uns aber dem Kern der Problematik. Der Begriff der »Untreue« wurde
hier zwar gezielt in moralischer Absicht eingesetzt, um die neuen preussischen Untertanen in
Erinnerung an ihre »Schuld« von 1848 desto besser an die Kandarre der neuen Obrigkeit
nehmen zu können. Die Hohenzollern sind so gewissermassen mit einer »Erbsünde« belastet
in den preussischen Staatsverband aufgenommen worden. »Untreue« ist aber jenseits der
Moral ein Terminus technicus, der sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Untertanen und
Landesherren ableitet. Denn noch immer bestand ja das in seinem Kern mittelalterliche Untertanenverhältnis
, wonach die Untertanen dem Landesherrn Treue schwören dafür, dass jener
über diese seinen Schutz und Schirm walten lässt5. Das heisst, das feudale Treueverhältnis
, das in Hohenzollern mitsamt der Leibeigenschaft bis 1848 fortbestand, basiert letztlich
auf einem Vertrag auf Gegenseitigkeit.

Da liegt nun aber der Hase im Pfeffer. Die hohenzollerischen Untertanen, insbesondere
die hechingischen, hatten seit dem 16. Jahrhundert die Erfahrung gemacht, dass sich dieses
Verhältnis auf Gegenseitigkeit in ein sehr einseitiges verkehrt hatte, dass das Treueverhältnis
- materiell ausgedrückt: die Steuer- und Abgabenlast - einseitig von unten nach oben wirkte,
während der landesväterliche Schutz, das umfasst auch Fürsorge und Schonung, praktisch
unwirksam war. Es handelte sich nurmehr um ein reines Ausbeutungsverhältnis. Die Distanz
zwischen den Untertanen und den Fürsten wuchs von Generation zu Generation, bis Mitte
des 18. Jahrhunderts Fürst Friedrich Wilhelm, der weitgehend abwesend war, sein Fürstentum
nur noch als Jagdrevier behandelte. Die Äusserungen der Fürsten des absolutistischen
Zeitalters gegenüber den Untertanen strotzten dementsprechend vor Menschenverachtung6,
und dies umso mehr, als die Untertanen seit dem endenden 16. Jahrhundert beinahe in jeder
Generation es wagten, sich in grösserem oder kleinerem Aufruhr gegen die Fürsten zu erheben
. Sie nahmen also ein Widerstandsrecht gegen offenkundiges Unrecht wahr - und erhielten
damit sogar teilweise vor Reichsgerichten Recht. Die Fürsten, die als Gerichtsherren die
»Definitionsgewalt« besassen, gaben allerdings die Schuld an dem zerrütteten Untertanenverhältnis
ihren Bauern, ohne jegliche Bereitschaft, ihren eigenen Anteil und ihre Verantwortung
für die teilweise katastrophalen Verhältnisse im Land zu sehen oder gar einzugestehen:
das lag unterhalb der Würde absolutistischer Landesherren.

Trotz des zerrütteten Verhältnisses zu den Untertanen, trotz ihrer gleichgültigen bis menschenverachtenden
Einstellung zu den Bauern wurden die Fürsten nicht müde, dieses Verhältnis
in hausväterlicher Attitüde zu beschwören, wie ja insgesamt der absolutistische
Staatsverband analog der Familie beschrieben wurde. Da waltete gütig der »Vater Staat«, der
»Landesvater« neigte sich fürsorglich in unendlicher Liebe zu den »Landeskindern« herab,
die ihm dafür in Liebe, Dankbarkeit und Treue ergeben waren. Angesichts der tatsächlichen,
im Mark erschütterten Untertanenverhältnisse in Hohenzollern - aber nicht nur hier - entlarvt
sich die gesamte Hausvatergebärde des absolutistischen Staates als das, was sie in Wirklichkeit
war: die reine Ideologie zur moralischen Bindung der Untertanen an den Staat. Dass

4 Fritz Kallenberg (Hg): Hohenzollern (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs
23). Stuttgart 1996, S. 158 f.

5 Zu den Frühformen des Untertanenverhältnisses in Hohenzollern vgl. Casimir Bumiller: Studien
zur Sozialgeschichte der Grafschaft Zollern im Spätmittelalter. Sigmaringen 1990, S. 176-180 und
S. 221 ff.

6 Fürst Friedrich Wilhelm beklagte sich darüber, dass er in Hohenzollern »sozusagen schier unter lautter
wilden und unsociablen leuthen* leben müsse, vgl. Eberhard Elbs: Bisingen und die bäuerlichen Aufstände
in der Grafschaft Hohenzollern. In: 1200 Jahre Bisingen. Bisingen 1987, S. 96.

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