Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0111
Die 48er Revolution in Hohenzollern mentalitätsgeschichtlich betrachtet

dass die Obrigkeit ihnen die Auswanderung verweigerte. Manche dieser Familienväter, die
ihr Glück anderswo suchen wollten und nicht durften, sollten sich am 11. März 1848 sensenfuchtelnd
vor dem Hechinger Rathaus wieder finden.

Obwohl also das hohenzollerische Problem einen objektiven Hintergrund hatte - das
Missverhältnis zwischen der Kleinheit des Landes und den damit nicht vereinbaren Ansprüchen
der Fürsten - musste sich das daraus entwickelnde Drama auf der menschlich-persönlichen
Ebene ausdrücken und ausagieren. Und dies umso mehr, als Staat und Staatsvolk noch
immer in den Kategorien einer bürgerlichen Familie gefasst wurden. So versuchte Fürst
Friedrich Wilhelm Constantin von Hohenzollern-Hechingen am Vorabend des Auflaufs
vom 11. März 1848 diesen zu verhindern, indem er aus treuem "Wohlwollen für unsere geliebte
Unterthanen und in landesväterlicher Berücksichtigung ihrer dermaligen gedrückten Verhältnisse
, Uns entschlossen, ihnen (den Hauptfall usw.) gnädigst nachzulassen, unter der Voraussetzung
jedoch, daß dieselben mit treuer Liebe und Dankbarkeit allen ihren anderweitigen
Schuldigkeiten stets nachkommen werden10. Wieder ist hier diese einseitige fürstliche
Wahrnehmung zu erkennen, der es entgangen war, dass die »Landeskinder« nicht erst »dermal
«, sondern seit Jahrzehnten in »gedrückten Verhältnissen« ohne jegliche Aussicht auf
Besserung lebten. Die fürstliche Fürsorgepflicht hätte eine Politik erfordert, die auf die Besserung
dieser Verhältnisse gezielt hätte. Doch dazu war Friedrich Wilhelm Constantin nicht
nur subjektiv nicht fähig - seine politische Apathie ist bekannt -, sondern aus den genannten
objektiven Gründen auch nicht in der Lage. Aus dieser Unfähigkeit zur Veränderung der politischen
Verhältnisse konnte sich der Fürst wenigstens in seine schöngeistigen Liebhabereien
zurückziehen, seinen Untertanen standen solche Räume der Zerstreuung nicht offen.

Aus der Sicht der Untertanen hatte also erneut ein Landesvater seine Fürsorgepflicht verletzt
(auch wenn seine Gattin Fürsten Eugenie durch ihre karitativen Massnahmen punktuell
einige Not linderte). Die »Landeskinder« mussten sich umso mehr verlassen fühlen, als der
Fürst in der Hungersnot von 1847 tatenlos zusah, wie die Kinder des Landes darbten und
teilweise verschickt werden mussten, um zu überleben. Die Jahrzehnte währende Unzufriedenheit
, eine wachsende Wut, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit suchten sich das Ventil
des März-Aufstandes. Die Waffe aber gegen einen Landesvater zu erheben, der sich hinter
der Maske der Väterlichkeit versteckte und dessen Herrschaft zudem unter dem Schutz des
Gottesgnadentums stand, bedeutete einen ungeheuren, göttliches Gebot berührenden Tabubruch
.

Form und Intensität des Aufbegehrens unter den »Landeskindern« schwankten, wie gesagt
, je nach individuellem Erfahrungshintergrund. Diejenigen, die latent oder offen aggressiv
auftraten und den Tabubruch von Majestätsbeleidigung und Hochverrat - denn darum
ging es juristisch - in Kauf nahmen, stammten in der Regel aus schlechteren sozialen Verhältnissen
. Sie hatten wirtschaftlich nichts oder wenig zu verlieren, und sie brachten aus ihren engen
familiären Verhältnissen oft Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und mit dem Aufbegehren
gegen den leiblichen Vater mit11. Sie konnten ihre Wut, die aus ihrem miserablen sozialen
Hintergrund resultierte, in der allgemeinen revolutionären Stimmung leicht auf den »Landesvater
« projizieren.

Den »Nachmärz« bestimmten dagegen die »Besonnenen«, die über die »Exzesse« vom
11. März erschraken und soweit zu gehen eigentlich nicht bereit waren. Sie gehörten eher
dem auskömmlichen Bauern-, Handwerker- oder Händlerstand an (im Killertal betrieb das
Gros der Familien bekanntermassen Hausierhandel12). Sie hatten in der Regel gesündere
Familienverhältnisse erlebt, hatten leichter Zugang zu den verantwortlichen Positionen auf

10 Abb. der Quelle bei Bumiller: Wilflingen (wie Anm. 3), S. 150.

11 Vgl. das Porträt einer solchen Persönlichkeit ebd., S. 201-206.

12 Casimir Bumiller: Auf der Reise. Skizzen zu einer Geschichte des Hausierhandels im Killertal. In:
Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 5 (1993), S. 7-63.

97


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0111