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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0112
Casimir Bumiller

dem Dorf und waren ungebrochener im katholischen Milieu verwurzelt. Der patriarchale
Moralkanon war reibungsloser verinnerlicht, die Hemmschwelle zum Tabubruch der Majestätsbeleidigung
sass im 19. Jahrhundert wesentlich höher als in den Jahrhunderten davor.
Solche Männer traten auch in revolutionärer Erregung dem Fürsten in »kindlicher« Haltung
gegenüber, sie wagten lediglich den zaghaften und devoten, eher in eine Petition als in
eine Forderung gekleideten Protest. Wortführer dieser auf Anstand und diplomatische
Form achtenden Haltung war in Hechingen Pfarrer Blumenstetter, der die Revolution zu
kanalisieren verstand und für ihre verhältnismässig »brave« Abwicklung verantwortlich
wurde. In Sigmaringen konnte dagegen ein Radikaler, Advokat Würth, wenigstens zeitweilig
eine bedeutende Nebenrolle spielen, obwohl das Gros der Bürger seine republikanische,
antimonarchistische Haltung nicht teilte. Seine Rolle im Gefüge der Sigmaringer Revolution
wäre eine eingehendere psychohistorische Studie wert. Es scheint so, als hätten hier
viele monarchistisch gesinnte Bürger mit ihren latenten, nicht offen gelebten republikanischen
Sehnsüchten »experimentiert« und Würth stellvertretend für sich agieren und
schliesslich scheitern lassen.

Die »besonnenen« Männer, die das Tabu der Gewalt gegenüber dem Vater und dem patri-
archalen Staat verinnerlicht hatten, erschraken über die Gewaltbereitschaft ihrer Genossen.
Sie schlüpften darüber in die Rolle der »vernünftigen« grossen »Brüder« und fielen den »ehrvergessenen
, treu- und gottlosen« Radikalen in den erhobenen Arm. Auch sie standen zwar
dem Fürsten ambivalent gegenüber, auch sie fühlten sich von ihm verlassen und empfanden
Wut, doch überwogen die Gefühle von Mitleid und Angst. Die Gewaltbereitschaft der Radikalen
Hess sie vor der Konsequenz ihres eigenen Aufbegehrens zurückschrecken. In ihrem
Schwanken gingen sie den Schritt, den die radikalen Revolutionäre zuweit gegangen waren,
zweifach zurück und nahmen, auch stellvertretend für diese, alle Schuld und Verantwortung
für die »Exzesse« auf sich. Mit dieser Deutung gewinnen wir einen Schlüssel zum Verständnis
unserer eingangs formulierten Frage.

Obwohl es gute objektive Gründe gab für das Aufbegehren gegen den erstarrten spätabsolutistischen
Staat und für eine radikale politische Umwälzung (denn das bedeutet ja das
Wort Revolution), obwohl die Untertanen also auch im Sinne des Herrschaftsvertrages im
Recht waren, wirkte das Gewalttabu gegenüber der im »Vater Staat« personifizierten Obrigkeit
und gegenüber dem »Landesvater« so nachhaltig, dass nur eine Minderheit der Revolutionäre
zur letzten Konsequenz, dem Sturz des Fürsten, der dem Fortschritt im Wege stand,
bereit war. Den Gemässigten gelang es zwar, den anfänglichen Gewaltausbruch dauerhaft für
den Rest der hohenzollerischen Revolution zu neutralisieren. Doch die Märzereignisse hatten
bereits einen politischen Prozess in Gang gesetzt, der mit der Abdankung, mithin also
doch mit der »Beseitigung« des Fürsten endete. Die Verletzung des Gewalttabus durch einen
Teil der »Landeskinder« belastete damit auch die »Besonnenen« mit einem durch die ganze
Wucht obrigkeitlicher und göttlicher Strafandrohung befrachteten Schuldgefühl. An dieses
latente Schuldgefühl konnte der neue Landesherr appellieren, und König Friedrich Wilhelm
verstand dieses Instrument virtuos zu spielen. Schriftlich und mündlich rieb er den Hohen-
zollern ihre »Untreue« immer wieder unter die Nase, auch als sie bereits in einer Mischung
aus Stolz und Zerknirschung beim Huldigungsakt vom August 1851 versammelt waren: Ich
aber vertraue, daß Ihr eingedenk des Unsegens der nach den Erfahrungen der letzten Jahre
an der Untreue haftet, Mir treue Unterthanen sein und Euch des preußischen Namens würdig
zeigen werdet^.

Dieses Schuldgefühl erklärt übrigens auch, warum es im weiteren Verlauf der Revolution
aus der Sicht der hohenzollerischen Untertanen, die dies diskutierten, nur noch um einen
Anschluss an Preussen gehen konnte, nicht aber etwa an Württemberg. Das Schuldgefühl
verlangte eine Wiedergutmachung wenn schon nicht an den schwäbischen Stamm Hohenzol-

13 Kallenberg: Hohenzollern (wie Anm. 4), S. 158.

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