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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0113
Die 48er Revolution in Hohenzollern mentalitätsgeschichtlich betrachtet

lern, dann doch wenigstens an das Gesamthaus, das im preussischen König repräsentiert war.
Eine ganze Reihe von Umständen honorierte und »versüsste« den Hohenzollern ihre bereitwillige
Unterwürfigkeit: Man hatte durch die Revolution - eigentlich ungewollt - zwei kleine
, »entbehrliche und nutzlose« Duodezfürsten in die - sagen wir: Oase - geschickt, sich dafür
aber unter die Fittiche des bedeutendsten Monarchen Deutschlands begeben, der sich in
seiner realen Machtfülle wirklich als Identifikationsfigur anbot. Zweitens hatten die Hohenzollern
, trotz ihrer »gebremsten« Revolution, mit dem Anschluss an Preussen eine veritable
Umwälzung der Verhältnisse herbeigeführt, in der sich die nachgeholte territoriale Revolution
und die partizipatorische Revolution mit der Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen
Misere verbanden14. Sie hatten also mehr gewonnen, als sie je zu fordern gewagt hatten
. Das heisst, die Hohenzollern waren mit ihrem kurzen revolutionären Ausbruch und ihrem
unverzüglichen Zurückrudern in reuige Unterwerfung letztlich gut gefahren. Ihre von
1848 rührenden Schuldgefühle verbanden sich seit den wirtschaftlichen Weichenstellungen
der 50er Jahre zunehmend mit Dankbarkeit, und schlugen mit der Reichsgründung 1871 und
der Aufbruchsstimmung der Gründerjahre um in eine zunehmende Identifikation mit dem
Kaiser als der Vaterfigur par excellence15.

Diese psychische Disposition aus Untertänigkeit, Dankbarkeit und Identifikation, deren
Grundlage ein zwar immer stärker verblassendes, deshalb aber nicht minder virulentes
Schuldgefühl bildete, prägte um die Jahrhundertwende die Mentalität der Hohenzollern als
Preussen, die bereit waren, einem größenwahnsinnigen Kaiser, nüchtern betrachtet: der
Karikatur einer Vaterfigur, durch Dick und Dünn zu folgen. Diese Mentalität lässt sich,
wenn es an dieser Stelle gestattet ist, die persönliche Geschichte des Verfassers einzubringen
, etwa in der Biografie meines eigenen Vaters bezeugen, der, 1895 geboren, ganz wilhelminisch
sozialisiert war, in der Hölle der Ersten Weltkrieges an der Einheit von Gott, Kaiser
und Vaterland zu zweifeln begann und dennoch, trotz seiner politischen »Karriere« als
Kommunist, bis an sein Lebensende - Preussen war längst untergegangen - ganz preussisch
fühlte.

Und wenn ich mich nicht täusche, wirkt in der eigenwilligen, sentimentalen Anhänglichkeit
vieler Nachgeborener an den Namen Hohenzollern und an die preussische Monarchie
dieser Gefühlskomplex und ein Rest dieser Mentalität bis heute fort. Auf Aussenstehende
wirkt diese Anhänglichkeit an Hohenzollern gelegentlich unverständlich und irritierend, da
sich die hohenzollerische Geschichte, rein sozialhistorisch betrachtet, als eher unrühmliche
Aneinanderreihung tragischer Konflikte darstellt, die wahrlich nicht dazu angetan ist,
Identifikation mit dem Namen Hohenzollern zu fördern. Psychohistorisch betrachtet lässt
sich diese Geschichte jedoch als eine Kette zerrütteter Vater-Kind-Beziehungen verstehen.
Und daraus ergibt sich ein Ansatz zum Verständnis des ganzen Phänomens. Zerrüttete Vater-
Kind-Beziehungen sind durch einen hohen Grad an Gefühlsambivalenz gekennzeichnet: Betroffene
Kinder (Söhne in besonderer Weise) fühlen sich vom Vater verraten, verletzt und
enttäuscht, bewahren sich aber dennoch hinter aller Bitterkeit und Abwendung eine rudimentäre
kindliche Liebe und Vatersehnsucht. Die einen, bei denen Hass und Wut überwiegen
, lehnen sich im Heranwachsen auf und sagen sich vom Vater los (das sind gewissermas-
sen die »Republikaner«), die anderen, bei denen Furcht und Liebe überwiegen, bleiben gebunden
und neigen in ihrer ungestillten Vatersehnsucht mit wachsendem Abstand zu den
verletzenden Ereignissen zum Herunterspielen ihrer persönlichen Tragik und zur Verklä-

14 So die Hauptthese meines Beitrags (wie Anm. 1).

15 Dass sich dieser Prozess einer Identifikation mit Preussen zwischen 1850 und 1900 nicht bruchlos
und widerstandslos vollzogen hat, hat Wolfgang Hermann in einem unveröffentlichten Aufsatz »Der
Traum unserer Jugend von Kaiser und Reich hat sich so herrlich erfüllt!« Eine Studie über die Volksstimmung
in Hohenzollern und vornehmlich im Oberamt Haigerloch in der Zeit des Krieges von 1870/71,
den ich freundlicherweise einsehen durfte, dargelegt.

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