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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0133
Der Kreuzweg von St. Luzen in Hechingen. Ein Bilderzyklus des 18. Jahrhunderts

Im Grunde genommen sind die Bildwerke eines Kreuzwegs wie im Fall von St. Luzen
volkstümliche Andachtsbilder in zyklischer Anordnung. Erwin Panofskys Definition des
Andachtsbildes geht auf das Verhältnis zwischen den Andachtsuchenden und dem Bild ein.
Er forderte für das Andachtbild die Fähigkeit, Mensch und Darstellungsinhalt seelisch verschmelzen
zu lassen, indem u.a. bestimmte Einzelfiguren oder Gruppen aus einer szenischen
Handlung herausgelöst werden und damit die Handlung zum Stillstand kommen zu lassen37.

Der St. Luzener Plastiker war aufgerufen, sich daran zu orientieren. Ob er dabei immer
ganz geschickt war, sei dahingestellt. Man erkennt aber am fragmentarischen Rest seiner Arbeit
, daß er bemüht war, diesen szenischen Stillstand zu halten, der sich durch das kleinste erzählerische
Moment hin auflöst. Die starke Affektcharakterisierung, die Grimassen und
Fratzen erzählen beschreibend, sozusagen nur in Adjektiven, auf Verben verzichtend und damit
ohne ausgesprochene Handlung.

Adolf Feulner erkannte, daß die volkstümlichen Werke des 18. Jahrhunderts im Vergleich
mit derzeitigen Werken höfischer Kunst altertümlich und unzeitgemäß erscheinen38.
»Man kann«, schreibt Feulner, »das nicht einfach mit dem Gegensatz von provinziell und
fortschrittlich, von reaktionär und modern abtun. Es liegt tiefer. Gewiß sind die Träger dieser
volkstümlichen Kunst in der Mehrzahl die Bildhauer der kleinen Zentralen, die ländlichen
Meister, die abseits von den Mittelpunkten der modernen Bewegung ihr künstlerisches
Handwerk ausübten, unbefangen, wenig berührt von den modernen Formanschauungen


Die barocke Kunst besitzt eine sehr große Spannweite; dieser Sachverhalt kann nicht
überschätzt werden. Die religiöse, volksmissionarischen Zielen dienende Kunst hat darin
ebenfalls ihren Ort. »Auf's bewußteste wurde die Kunst gepflegt, gelenkt, den allgemeinen
Zwecken der Kirche dienstbar gemacht. Bewundernswürdig ist, wie an der Hand der Kirche
die Barockkunst, aristokratisch und fremdländisch in ihrem Ursprung, doch es verstand, in
die Volksseele einzudringen. Der Begriff der Kunst muß hierbei sehr weit gefaßt werden39«.

Die kirchliche Autorität der Franziskaner von St. Luzen ließ mit dem Kreuzweg ein Instrument
entstehen, das mit geeigneten künstlerischen Mitteln der Volksfrömmigkeit entgegenkam
, sie unterhielt und ihr Nahrung gab40. Der Kreuzweg ist demnach kein Zeugnis barocker
Volksfrömmigkeit oder gar der damaligen Volkskunst, sondern ein Zeugnis dafür, wie
die kirchliche Autorität die Volksfrömmigkeit zu kanalisieren versuchte. Dies verlangte eine
besondere künstlerische Ausdrucksweise. Das, was heute als qualitativ fragwürdig, als altertümlich
und nicht auf der Höhe der Epoche stehend zu sein scheint, ist möglicherweise das
Ergebnis einer gezielten Formulierung des Auftrags, den der Künstler so auszuführen hatte.

So betrachtet kommt dem St. Luzener Kreuzweg eine große Bedeutung zu. Trotz seines
fragmentarischen und uneinheitlichen Charakters stellt er ein Zeugnis dar für den Teil der
bildenden Kunst des 18. Jahrhunderts, dem man mit dem gängigen kunsthistorischen Bewertungskatalog
nicht gerecht wird. Die St. Luzener-Tonfiguren, die wohl den Grundstock der
künstlerischen Ausstattung des Kreuzwegs darstellen, sind innerhalb ihrer Sphäre gültige
Werke des Barock in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

37 Erwin Panofsky: Perspektive als symbolische Form. Hamburg 1927. S. 264-266.

38 Adolf Feulner: Skulptur und Malerei des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Handbuch der Kunstwissenschaften
. A. E. Brinckmann (Hg.): Bd. 30. Wildpark-Potsdam 1928/29. S. 4.

39 Georg Dehio: Geschichte der deutschen Kunst. Bd. III. Berlin 21931. S. 281.

40 Vgl. Ernst Schlee: Die Volkskunst in Deutschland. Ausstrahlung, Vorlagen, Quellen. München
1978.S.211.

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