Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0204
Neues Schrifttum

nach der gesellschaftlichen Situation variierte die jeweilige Vorstellung dessen, was unter
»Ehre« verstanden wurde - somit existierten eine Vielzahl von verschiedenen Ehrkonzepten.
Nun will aber das vorliegende Werk nicht deren ganze Bandbreite dokumentieren, sondern
an einigen ausgewählten Beispielen die betreffenden Ehrkonzepte analysieren.

Mit einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung leitet Hans Wellmann den Band ein.
Es geht ihm um die Definition des historischen Begriffs und dessen Wandel im Kontinuum
der Zeit. Sprachwissenschaftlich auch der zweite Beitrag von Peter Schuster: er beleuchtet
die politische, soziale und rechtliche Funktion des Begriffs. Im nächsten Beitrag stellt Wolfgang
Weber den Ehrbegriff wiederum in einen staatstheoretischen Zusammenhang, indem
er die Bedeutung untersucht, die ihm verschiedene Staatstheoretiker zumessen wie zum Beispiel
Montesquieu, Machiavelli, Althusius, Luther, Wimpfeling oder Thomasius. Helmut
Puff geht in einer weiteren Studie das Thema von seiner normativen Seite an und betrachtet
die Ehelehren von Juan Luis Vives, Antonio de Guevara, Andreas Musculus und vor allem
von Johann Fischart unter dem Aspekt der Ehre. Von der Ehe ist der Weg nur kurz zu geschlechtsspezifischen
Ehrvorstellungen - das Thema des Artikels von Martin Dinges. Sehr
plastisch erläutert er dies unter anderem an den Schimpfwörtern, die in beleidigender Weise
für Frauen und Männer gebraucht wurden: Das häufigste für Frauen angewandte Wort war
»Hure«, Männer hingegen mußten sich zumeist »Dieb« und »Schelm« schimpfen lassen. Bei
Frauen lag somit das Gewicht auf der Sexualität, bei Männern auf physischer Gewalt. Letzteres
steht im Zentrum des anschließenden Aufsatzes von Mark Haberlein, der Ehrhändel
innerhalb der Augsburger Führungsschicht im 16. Jahrhundert untersucht. Es stellt sich dabei
heraus, daß die Gewaltbereitschaft bei der Elite keineswegs geringer war als bei anderen
Volksschichten. Es folgen mehrere Aufsätze, die Aspekten des weiblichen Ehrbegriffs gewidmet
sind: Renate Dürr zeigt auf, daß Mägde immer wieder die ihnen gesetzten obrigkeitlichen
Schranken mißachteten (z.B. diejenigen der Kleiderordnungen), weil sie - als sozial
abgestiegene Töchter aus besserem Hause - an dem alten Status noch festhalten wollten.
B. Ann Tlusty widmet sich den betrunkenen Frauen und ergründet, warum sie von allen Seiten
verachtet wurden. Die Ausarbeitung von Ulinka Rublack schwingt sich auf die eher abstrakte
Ebene der Metaphorik empor: Sie geht den bildhaften Darstellungen nach, welche
beispielsweise die belagerte Stadt als standhafte Jungfrau zeigen oder die eroberte Stadt als
geschändetes Mädchen. Gegenständlicher wieder das Thema von Merry Wiesner: Sie beschreibt
die Veränderung der Position von Frauen innerhalb der Zünfte. Spielten Frauen
hier im Mittelalter zunächst noch durchaus eine Rolle, so wurden sie seit dem 15. Jahrhundert
mehr und mehr in die Hausarbeit abgedrängt. In zunehmendem Maße sahen Handwerker
ihre Ehre bedroht, sobald ihnen zugemutet wurde, mit einer Frau zusammenzuarbeiten.
In ganz extremer Weise war die Ehre einer Frau angegriffen, wenn sie der Hexerei bezichtigt
wurde. Dagegen setzten sich die Beschuldigten bisweilen zur Wehr, indem sie den Denunzianten
wegen Beleidigung verklagten - Gudrun Gersmann bringt Beispiele hierfür aus dem
Bistum Münster.

Der vorliegende Band wäre doch wohl etwas einseitig geworden, wenn er das Frauen-
Thema noch weiter verfolgte. So greift denn Gerhild Scholz Williams einen ganz anderen Gesichtspunkt
heraus, einen aus dem Bereich der Religion. Sie analysiert den Ehrbegriff von
Männern und Frauen, die sich der radikalen Reformation anschlössen. Entehrungen wurden
von ihnen klaglos ertragen, denn sie bedeuteten eine Ehrerweisung gegenüber Gott. - Von
der religiösen zur sozialen Ebene: Sabine Ullmann faßt die Strukturen und Konfliktmuster
jüdisch-christlichen Zusammenlebens ins Auge, und zwar am Beispiel des schwäbischen
Landjudentums, wobei Bayerisch-Schwaben gemeint ist, insonderheit die Markgrafschaft
Burgau. Eine weitere Bevölkerungsgruppe, die wegen ihres Berufs einerseits verachtet, andererseits
aber auch hochgeschätzt war, untersucht Kathy Stuart: die Scharfrichter, deren medizinische
Kompetenz sehr oft in Anspruch genommen wurde. Und schließlich bringt David
Lederer die Selbstmörder zur Sprache. Er weist nach, daß die Kirche im katholischen Bayern

190


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0204