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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2000/0226
Neues Schrifttum

eher zu bestimmen. Nicht immer dürfte die Wiederherstellung der Ehre das Ziel der
Auseinandersetzungen gewesen sein, wahrscheinlich ging es oft genug auch um das
schlichte Überleben.

Breiten Raum widmet die Autorin den Ehrkonflikten und Gewaltdelikten in der
Bevölkerung unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Frauen nutzten das
Gericht des Obervogts seltener als Männer, um sich gegen häusliche Gewalt zur
Wehr zu setzen oder um ihre Ehre zu verteidigen. Kam es doch zum Prozeß, waren
Frauen aus den Unterschichten, insbesondere als Mägde, durch die Rechtspraxis
benachteiligt. Insbesondere die männlichen Angehörigen der vollbäuerlichen Elite
bevorzugten in Streitigkeiten untereinander nichtkörperliche Formen der Aggression
oder wandten sich gleich ans Gericht. Die statistische Aufbereitung von Streitparteien
und Streitorten ergibt bei 166 Händeln mit 78 Fällen einen deutlichen
Schwerpunkt von Konflikten unter Männern im Wirtshaus, erweist sich aber sonst
als zu dünn für die Rekonstruktion eindeutiger Tendenzen. Die Verfasserin schließt
ihre Analyse mit der These, daß das Obervogteigericht von der Bevölkerung „als
Subsitut für nicht (mehr) greifende außergerichtliche Konfliktlösungsstrategien",
und zwar differenziert nach Geschlecht, sodann sozialem Status, schließlich dem
Zivilstand und Alter in Anspruch genommen worden sei (S. 214).

Das Schlußkapitel befaßt sich mit der Frage, wie die Streitigkeiten vom locus delicti
ins Amtshaus getragen und dort durch das Verfahren (einem „mehrstufigen
Transformationsprozeß", S. 235) zu Freveln standardisiert wurden, die sich einzelnen
Delinquenten zuordnen ließen. Hierbei prallten die obrigkeitlichen Bemühungen
, Gewaltanwendung zu kriminalisieren, mit den Vorstellungen der Prozeßbeteiligten
von legitimer Gewaltsamkeit, v.a. unter dem eigenen Dach, regelmäßig aufeinander
. Die Strafen orientierten sich stark am Status der Delinquenten. Vögte gingen
meist straffrei aus; hingegen liefen v.a. Kläger aus den Unterschichten Gefahr,
das Amtshaus als Verurteilte zu verlassen. Auch hier wiegen die in einem knappen
halben Jahrhundert verhängten 16 Leibesstrafen (S. 244) statistisch zu gering, um
die Strafpraxis nach Status und Geschlecht sinnvoll differenzieren zu können. Dennoch
mag man glauben, daß das Risiko einer Leibesstrafe für Frauen aus den Unterschichten
relativ am größten war.

Plausibel entwickelt Michaela Hohkamp die These, daß die vielschichtigen Verpflichtungsstrukturen
zwischen Landesherrschaft, Beamten, Bauern und Unterschichten
durch eine dualistische Perspektive, etwa eine Opposition Absolutistischer
Staat - Untertanen, nicht angemessen beschrieben werden können. Angewiesen
auf die lokalen Funktionseliten, mußte der Obervogt die Vorgaben aus Freiburg
und Wien geradezu unterlaufen. Die Untertanen ermöglichten durch ihre Klagen
um Schulden, Gewalt und Ehre den „gesellschaftlichen Distinktionsprozeß" durch
die Obrigkeit ja überhaupt erst, „Herrschaft im Amtshaus zu zentralisieren" (S. 78,
253,255).

Die Verfasserin illustriert so die staatlichen Strukturprobleme am Ende des Alten
Reiches in einer Region, die traditionell von einer zynischen herrschaftlichen Verpfändungspolitik
, vergleichsweise geringen wirtschaftlichen Ressourcen und anhaltendem
bäuerlichen Widerstand geprägt war. In Triberg endete die Pfandschaftszeit
erst 1654. Fiskalische Interessen und das Streben nach rechtlicher und verwaltungs-

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