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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2000/0239
Besprechungen

Der Sache nach handelt es sich um politisch appellierende Vorträge zur Aufgabe
und Problematik der Erinnerung an die von Deutschen im 20. Jahrhundert besonders
im Kontext der nationalsozialistischen Herrschaft begangenen Verbrechen
{Bernd Faulenbach, Wolfgang Lüder, Christian Uhde, Hans Jochen Vogel, Ernst
Piper und Rita Süssmuth), um Zeugnisse Betroffener (Max Mannheimer, Inge
Deutschkron) sowie um je umfangreichere Forschungsbeiträge (Götz Alt: „Judenumsiedlung
". Überlegungen zur politischen Vorgeschichte des Holocaust; Jörg
Friedrich: Von nichts gewußt; Peter Steinbach: Auf verlorenem Posten, d.h. zur
Einbeziehung der Emigration in die Erinnerung).

Die Zeugnisse von Max Mannheimer und Inge Deutschkron sind Berichte und
gerade so, ohne Deutung und Klage, tief aufwühlend. Die politisch überparteilichen
Texte zur Aufgabe der Erinnerung sind einander in ihrem Anliegen wie in
der Beurteilung der Geschichte sehr nahe. Indem sie teilweise bereits eine Geschichte
der Erinnerung bieten wird deutlich, daß die Verbrechen und die Erinnerung
sich nicht als zwei historische Phasen, 1933-1945 und 1945 bis heute, nur
folgen, daß vielmehr das Schweigen gegenüber den Tätern wie den Fakten in beiden
Phasen zusammenhängt und wenigstens teilweise identische Ursachen hat.
Die Mehrzahl und die Macht führen zur Peinigung und Vernichtung des Besonderen
und Fremden. Die Erinnerung aber ist nie ein abgeschlossener Prozeß, vielmehr
bietet sie die Möglichkeit, mit dem eigenen Selbst in der Wirklichkeit zu
leben. Sie ist keineswegs nur rückwärtsgewandt, sondern unverzichtbar, Zukunft
zu erleben und zu gestalten.

Die wissenschaftlichen Beiträge entziehen sich im Detail der Rezension. Alts
Nachweise, daß die Judenverfolgung nicht nur programmatisch war, sondern in
ihrem Ablauf auch faktischen Notwendigkeiten der Neuordnung des sich in wenigen
Jahren riesig aufblähenden Staates entsprach, verstehe ich nicht als Ent-
dämonisierung. Im Gegenteil wird gerade so vermieden, die Dämonie gleichsam
bei Hitler oder wenigen anderen Hauptverantwortlichen abzuladen. Tatsächlich
wurden unzählige Bürokraten und Vollzugsbeamte zu Tätern, die sich hernach als
der Ordnung gehorsame Diener exkulpierten. Die Wirklichkeit war gewiß einmalig
und außerordentlich. Aber der Weg zu ihr war ordentlich und wurde von
vielen begangen. Die grundsätzliche Möglichkeit dazu verändert sich nicht. So
zielt die Erinnerung nicht nur auf Verurteilung, sondern vor allem auf Erkenntnis.

Auch Friedrichs detailreiche Darstellung zum vorgeblichen Nichtwissen und tatsächlichen
Nichtwissenwollen ist atemberaubend. Freilich wird dabei auch die
Schwierigkeit darüber zu sprechen deutlich, denn „die Deutschen" und „das Volk"
sind immer auch Einzelne und nicht wissen zu handeln bedeutet nicht immer gar
nicht zu wissen oder nicht wissen zu wollen. Auch unter den Nationalsozialismus
war Wahrnehmung individuell, nicht nur kollektiv.

Von der nur zögernden und stufenweisen Rezeption des Widerstandes in der
Nachkriegszeit mit der verspäteten und vielleicht nie abgeschlossenen Einbeziehung
der Emigration handelt Steinbach. Und es erschreckt zutiefst, denken zu müssen
, daß wir für Helden, Kirchen und Parteien inzwischen Spielregeln der Wahrnehmung
gefunden haben, nicht aber für Einzelne, die sich auf das Spiel der Macht
weder als Sieger noch als Verlierer einzulassen bereit waren.

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