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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2001/0277
Besprechungen

Im vierten Teil analysiert Schuster sodann die Anwendung von Sanktionen im Detail
(,.Strafrechtspraxis im 15. Jahrhundert. Das Fallbeispiel Konstanz"), bevor er in
einem konzisen Schlusskapitel unter Wiederaufnahme seiner Leitfragen ein Resümee
zieht („Schluss: Rechtspraxis, Herrschaft und Macht im Spätmittelalter").

Die vielfältigen Ergebnisse der Arbeit, mit denen sicher in weiten Teilen über Konstanz
hinaus maßgebliche Strukturen der spätmittelalterlichen Rechtswirklichkeit
beschrieben sind, können hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden. Herauszustellen
ist, dass im 15. Jahrhundert die Schlichtung von Konflikten und die Ahndung
delinquenten Verhaltens zunehmend vom Rat der Stadt Konstanz als Aufgabe wahrgenommen
wurden, was auf die Unfähigkeit privatrechtlicher Schlichtungsbemühungen
und mehr noch auf den Wandel des Selbstverständnisses des Rats zurückzuführen
ist, der sich immer mehr vom Selbstverwaltungsorgan der Bürger zur Obrigkeit
und Herrschaft entwickelte. Bei der Wahrnehmung der Strafverfolgung bildete
der Rat jedoch kein System obrigkeitlicher Repression heraus; vielmehr tendierte er
zur Milderung der normativen Vorgaben und der gefällten Urteile. Schuster interpretiert
diesen „Hang zur Milde" (S. 312) als Beleg der stabilen Machtposition des Rates,
die allgemein anerkannt wurde: „Es wurden auf dem Felde des Rechts keine Machtkonflikte
ausgetragen" (S. 313). Dagegen stand dem in Satzungen normierten Rechtssystem
die „Ehre" als gleichrangiges Normensystem gegenüber, auf dessen Grundlage
Gewalt in dosierter Form möglich war. Grundsätzlich war es freilich dem
Konstanzer Rat im späten Mittelalter weitgehend gelungen, die Ausweitung und
Fortführung privater Konflikte in friedliche Bahnen zu lenken: „Gewalttätige Privatfehden
waren für Konstanzer Bürger nicht möglich" (S. 314). Darf insofern, wie
Schuster immer wieder herausstellt, die Gewaltdelinquenz nicht überschätzt werden
(es kamen im Konstanz des Untersuchungszeitraums mehr Menschen durch den
Henker zu Tode als durch Gewalttaten), so ergibt sich aus der bemerkenswert hohen
Bedeutung von Eigentums- und Wirtschaftsdelikten und ihrer Ahndung „das Bild
einer Gesellschaft, die zum einen Ehre und Besitz fortwährend bedroht sah, deren
Mitglieder andererseits angesichts dieser Bedrohung fortwährend bemüht waren,
auch rechtswidrig Ehre und Besitz zu mehren" (S. 314). Geprägt war die Rechtspraxis
von Schlichtung und Milde, die weitaus häufiger Anwendung fanden als
drakonische Strafen. Bußleistungen wurden häufig im Zuge von Verhandlungen mit
dem Delinquenten vereinbart, wobei dessen sozialen Verbindungsnetz eine besondere
Bedeutung zukam, indem es seine Position stärken oder die belastende Höhe auffangen
konnte. Dass die Bußpraxis nicht nur die soziale Vernetzung des Individuums
reflektierte, sondern das Netz noch verstärkte, indem es seine Aktivierung fortwährend
forderte (S. 315), gehört sicher zu den interessantesten Ergebnissen
Schusters, während der korrespondierende Befund kaum überrascht: Sozial ausgegrenzte
Personen, die durch kein soziales Netz gehalten wurden, waren als „Verlierer
der spätmittelalterlichen Rechtspraxis" dem obrigkeitlichen Zugriff schutzlos ausgesetzt
. Sie waren es, an denen „exemplarische Grausamkeit" geübt wurde, um zu
demonstrieren, dass der Rat seiner Schutzaufgabe nachkommen konnte. Mit dem
durch soziale Verbünde abgesicherten Täter trat der Rat dagegen in einen Dialog über
die Ahndung der Delinquenz, in den „fürbittende Machtgruppen" einbezogen werden
konnten. „Als Ergebnis stand am Ende des Dialoges ein bezogen auf Norm und

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