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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0426
Der Fürst und „seine" Hexe

oder fernere Betrohung ein Maleficium, welches eine wachsene Kugel und darin oben
ein Nagel geschlagen gewesen [...] einer ehrlichen Persohn - besagtem Pater Joseph -
ahngezeiget254. Bei diesem Gegenstand habe es sich, so der Fürst, um jenes Zaubermittel
gehandelt, das bereits mehr als ein Jahr zuvor angezeigt worden sei, von dessen
genauem Aufbewahrungsort jedoch damals niemand Kenntnis gehabt habe. Pater
Joseph habe ihm disertis verhis [mit eindeutigen Worten] versichert, dz er es von ihr
oder durch ihr Anzeigh bekhommen255. Der Franziskanerpater von St. Luzen wird
dies später jedoch ebenso leugnen wie Anna Maria Grün, die vorgibt, von besagter
Kugel nicht das Geringste gewusst zu haben. Daher stellt sich die Frage, welche Rolle
Pater Joseph in dieser Sache tatsächlich gespielt hat. Woher stammte die gefundene
wächserne Kugel wirklich? Hatte der Pater den entscheidenden Hinweis auf den
Fundort von Anna Maria Grün erhalten oder hatte er dies nur vorgegeben, um der
Weißgerberin zur Freiheit zu verhelfen und den verunsicherten Fürsten mit einem
„Zaubergegenstand" zufrieden zu stellen?

Sicher ist jedenfalls, dass sich durch die Vermittlung des Paters und den Fund des
Malefiziums die sich zuspitzende Situation zunächst einmal wieder entspannte. Eitel
Friedrich war erleichtert, das vermeintliche Übel lokalisiert und eingezogen zu haben.
Denn bereits beim ersten Anblick des eigentümlichen Wachsgebildes dürfte dem
literarisch gebildeten und vom Aberglauben tief geprägten Herrscher dessen Bedrohungspotential
wohl sofort bewusst gewesen sein. Laut „Handwörterbuch des
deutschen Aberglaubens" war schon im griechischen und römischen Altertum das
Vernageln (Defixion) von Briefen, Bildern oder Figuren eine Methode des Schadenzaubers
, um „den Gegner zu behindern oder zu fesseln"256. Ähnliches gilt für den
Nadelzauber, bei dem man „von dem Menschen, dem man Krankheit oder noch
Schlimmeres anzaubern wollte, ein Bild (Puppe) aus Wachs, Lehm oder Blei anfertigte
[...] und dann mit einer Nadel durchstach"257. Im Mittelalter waren diese
„imagines cereae [...] besonders gefürchtet". Papst Johann XXII. soll beispielsweise
„in ständiger Angst" gelebt haben, „auf diese Weise ums Leben gebracht zu werden",
und im 17. Jahrhundert standen „Maria von Medici und deren Freundin" [...] im Verdacht
, durch Bildzauber „das Leben Ludwigs XIII. von Frankreich (1610-1643)
gefährdet zu haben". In Deutschland hat nicht zuletzt der „'Hexenhammer' von
Jakob Sprenger und Heinrich Institoris entsprechende Belege" aufgeführt und unter
der interessierten Leserschaft weiterverbreitet.

Es fällt nicht schwer sich auszumalen, was dem Zollerfürsten, der seit Jahrzehnten
an den körperlichen Folgen seiner im Krieg erlittenen Verwundung litt und immer
wieder von Melancholie oder gar Depressionen heimgesucht wurde, vorgegangen sein
mag, als er sich mit diesem genagelten kopfähnlichen Gebilde konfrontiert sah. Deshalb
wurde die Wachskugel mit dem eingeschlagenen Nagel unter seinen Augen
umgehend verbrannt. Pater Joseph behauptet zwar später, das Vernichten der Kugel
im reinigenden Feuer sei ohne positive Wirkung auf die angeschlagene Gesundheit

254 Wie Anm. 200.

255 Wie Anm. 200, dat. 13.9.1654, Punkt 21.

256 Bächtold-Stäubli (wie Anm. 75), Bd. 2, Spalte 184.

257 Ebd. Bd. 6, Spalte 926f.

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