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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0671
Rolf Vogt

und den ganzen Tag geht es die Stadt auf und ab. Aber ich glaube, die gehen auch
bald ihrer Heimat zum. Von „chaotischen Zuständen" berichtete später Walter
Sauter, als er seine Aufzeichnungen für den zweiten Band der Hechinger Stadtchronik
zusammenfasste. Hunderte ausländischer Zivilarbeiter seien aus der Umgebung in
Hechingen zusammengeströmt und hätten sich in den Geschäften mit Lebensmitteln
und Kleidern eingedeckt, ohne zu bezahlen484.

Als Plünderer betätigten sich in diesen Tagen allerdings auch deutsche Hechinger.
Tür und Tor hatten der Selbstbedienung bereits vor dem Einmarsch französischer
Truppen staatliche Stellen geöffnet, die ihre Bestände unentgeltlich oder gegen Spottpreise
an die Zivilbevölkerung abgaben. Ausgeräumt wurden in der staatsfreien und
rechtlosen Zeit unmittelbar vor und nach der Besetzung durch französische Truppen
vor allem Einrichtungen der Wehrmacht und der NSDAP.

In der Notsituation der ersten Nachkriegstage genossen die Ausländer eine Vorzugsbehandlung
, unmittelbare Wiedergutmachung für die entbehrungsreichen Jahre
zuvor. Das für die Verteilung zuständige Kreiswirtschaftsamt etwa ließ im August
1945 wissen, dass Bezugscheine für Spinnstoffwaren und Schuhe zurzeit nur an Ausländer
und an aus den KZ-Lagern befreite politische Gefangene ausgegeben würden,
für deutsche Bevölkerung ist die Ausgabe gesperrt**5. Das Hechinger Kino, die
Museumslichtspiele, die am 28. Juli 1945 erstmals seit dem Kriegsende wieder Filme
zeigten, gaben für die russische Besatzung Sondervorstellungen486. Im Käsegeschäft
Josef Zinser an der Staig wurde wie in allen Lebensmittelläden Ware nur gegen
Bezugsscheine abgegeben. Die seit wenigen Tagen in der Stadt untergebrachten Russen
brauchen sehr viel, bemerkte Frida Zinser Ende Mai 1945: Alle kommen zu uns
zum Einkaufen [...] Soviel Menschen brauchen allerlei, und die Russen müssen besser
verpflegt werden wie Franzosen und wir**7.

Die französischen Besatzungsbehörden behielten sich den Zugriff auf die im Kreis
lebenden Ausländer vom ersten Augenblick an vor. In einem hektographierten
Befehl, der maschinenschriftlich mit dem Kopf Premiere Armee francaise versehen
war, verteilten die französischen Truppen auf ihrem Vormarsch in Südwestdeutschland
Anweisungen an die Bürgermeister und ihre Stellvertreter. Bürgermeister-Stellvertreter
Josef Simmendinger dürfte am Abend des 22. April 1945 das Schriftstück im
Alten Schloß, damals das Rathaus, aus den Händen des befehlshabenden Offiziers
des dritten Regiment de Spahis Marocain in Empfang genommen haben. Diese Einheit
der 5. französischen Panzerdivision hatte gerade von Sickingen kommend die
Stadt eingenommen. Die Kriegsgefangenen sollen bis auf weiteres an Ort und Stelle

483 Frida Zinser: Tagebuch 1945. Unveröff. S. 19f.

484 Chronik-Entwurf (wie Anm. 21) S. 101. „Die Metzgereien kamen erst im Mai wieder in
Gang. Vorher konnten sie nicht schlachten, um nicht zu riskieren, daß ihnen Ausländer alles
Fleisch wegholten. Immer wieder mußten die Lebensmittelgeschäfte schließen, da ihnen die
Ausländer die Waren förmlich aus der Hand rissen", heißt es dort weiter.

485 Nachrichtenblatt für den Kreis Hechingen (Künftig: Nachrichtenblatt) Nr. 3/10.08.1945.

486 Ebd. Nr. 2/03.08.1945

487 Frida Zinser (wie Anm. 483) S. 74, 79. Zur Kundschaft des Geschäfts, das im Mai 1945
wieder öffnete, hatten anfangs vor allem Franzosen gezählt.

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