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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0738
Besprechungen

uns ins Königreich Neapel, wo jenseits des Kirchenrechts dauerhaft „Chiese ricettizie"
als privatrechtlich organisierte Klerikervereinigungen (S. 297) existierten. Diese waren
als „'Gemeindekirche' par excellence" (S. 306) von Laien dotiert und daher wirtschaftlich
und familiär in der süditalienischen Subsistenzwirtschaft verankert.

Gesicherter Forschungsstand ist die ablehnende Haltung führender Reformatoren
gegenüber eigenständigen theologischen Konzepten aus der Bevölkerung. So übten
Luther und Zwingli starke Kritik an den in mittelalterlichen korporativen bzw. kommunalen
Traditionen verwurzelten „werckhlichen Bruderschaften" (S. 165-168).
Ihre Brüderlichkeitsutopie wurde zum Scheidepunkt in Bauernkriegsideologien und
im Täufertum. Obwohl nie verwirklicht, bestimmte sie das Denken bis in die
Französische Revolution {Hans-Jürgen Goertz, S. 178) und, so darf man anfügen, in
die Arbeiterbewegung hinein. Heinrich R. Schmidt skizziert die Entwicklung neuzeitlicher
Gesellschafts- und Herrschaftsverträge aus der im Abendmahl versinnbildlichten
theologischen Bundesidee. Diese sei geradezu die „Planskizze für die Ver-
faßtheit der amerikanischen Kolonien" (S. 324) gewesen.

Die Ausführungen zu Bauernkrieg und anderen Erhebungen haben meist lokalgeschichtliche
Bezüge, bedienen aber weiterführende Interessen. Zum Aufstand von
1524 in der thüringischen Stadt Mühlhausen leistet Günter Vogler, bereits zu DDR-
Zeiten auch im Westen durch Widerstandsforschung ausgewiesen (S. 195-211), erste
Klärungen. Er schließt mit Fragen nach den Ursachen, nach den „tragenden
Kräften", nach den kommunalen Außenbeziehungen und nach dem Einfluss des
radikalen Reformators Thomas Müntzer. Ein Vergleich mit der von Paul Burgard
untersuchten Revolte im kursächsischen Neustadt an der Orla hätte sich hier angeboten
.

Der Bericht des Stadtschreibers Johannes Hummel über die Colmarer Unruhen
1524/25 offenbart die sowohl kommunale als auch antiklerikale Stoßrichtung des
Protests unter dem Einfluss reformatorischer Predigt. Geistliche sollten bürgerliche
Lasten mittragen; die geistliche Gerichtsbarkeit sollte deutlich eingeschränkt werden
{Kaspar von Greyertz, S. 374, 379, 381). Die Hintergründe der Opposition gegen die
geistliche Jurisdiktion - hohe Kosten und harte Kirchenstrafen, insbesondere die
„exzessiv verhängten Bannurteile" - erhellt Thomas D. Alhert anhand der Bistümer
Chur, Konstanz und Basel. Dennoch habe der „gemeine Mann" die geistliche
Gerichtsbarkeit 1525 grundsätzlich noch akzeptiert (S. 190-193).

Der Rütlischwur des Wilhelm Teil und seiner Konsorten vereinigte in der Darstellung
durch den Schweizer Humanisten Aegidius Tschudi (1505-72) verschiedene
Strategien aufständischen Verhaltens. Hierzu benennt Hugues Neveux an südalpinen
und oberrheinischen Beispielen aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert die Möglichkeit
zur Verschwörung (Joß Fritz u. a.), zum kollektiven Gemeindeprotest und
zur klientelären Nutzung adeliger Konkurrenz durch ländliche Parteiungen. Bezüge
zu neueren oberdeutschen Forschungserträgen müssten noch hergestellt werden.
Hier muss der Hinweis genügen, dass auch im Rufacher „Butzenkrieg" von 1514
obrigkeitliche Rivalität (zwischen Österreich, der Pfalz = Bayern, der Eidgenossenschaft
und dem Bischof von Straßburg) einen für Revolten günstigen Rahmen schuf.
Die Beschwerden zielten u.a. auf die Amtsführung der Vögte (die wie brandenburgische
oder hessische Kommunalbeamte als Sündenböcke der Herrschaftskrise her-

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