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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0062
Heinrich Bücheler

Indes: Schon die stilistisch beeindruckenden Briefe des einstigen Priesterschülers
widerlegen Napoleons Urteil, daß Murat „saudumm" gewesen sei. An seinem Verhalten
im Januar 1813 allerdings, als er die Reste der Grande Armee schmählich im
Stich ließ, gibt es nichts zu entschuldigen: es war der absolute Tiefpunkt seiner
ganzen Soldatenlaufbahn! - Doch in welcher Laufbahn gibt es keinen Tiefpunkt? -
Daß Murat aber auch die „Ursache" gewesen sei für die „Unglücksfälle von 1814"
beweist nur Napoleons fortgeschrittene „Wirklichkeitsblindheit" (Peter Berglar).
Der Kaiser wurde damals, trotz teils genialer Gegenwehr, von der gewaltigen Übermacht
der Heere Europas erdrückt. Ein Entlastungsstoß Murats am Po oder in den
Alpen gegen die Österreicher, mit zwangsläufig geringen Kräften, hätte daran nichts
geändert. Nicht anders steht es mit dem Vorwurf, Murat erst habe mit seinem - zugegeben
unsinnigen! - Angriff auf Osterreich im Frühjahr 1815 den schwankenden Kaiser
Franz I. auf die Seite der Alliierten gebracht. Nach allem, was man weiß, hat Kaiser
Franz überhaupt nie „geschwankt", sondern war , unter Metternichs und Talley-
rands starkem Einfluß, und der in Wien noch anwesenden Monarchen Europas, fest
entschlossen, seinem Schwiegersohn keine neue Chance mehr zu geben.

Insgesamt wird das Geschichtsbild Joachim Murats heute viel besser beurteilt als
noch vor Jahrzehnten; dies vor allem dank der Forschungen Jean Tulards, des Präsidenten
des Institut Napoleon. Die Erkenntnis setzte sich durch, daß Murat, - anders
als Napoleon - Sinn und Verständnis hatte für die Belange und Eigenarten der Völker
Europas. Sein Charakterbild schwankt heute nicht mehr, wie einst, zwischen „Haudegen
" (sabreur) und „Verräter" (trartre). Jean Tulard sieht Murat ganz als Vorreiter
und Vorträumer Garibaldis und Verdis bei der „Wiedererhebung Italiens", als „pre-
curseur du Risorgimento". Bekannt ist die Trauer des großen Italienliebhabers Lord
Byron, als er die Nachricht von der Hinrichtung in Pizzo erhielt Armer, lieber
Murat! Was für ein Ende!... Und das Urteil Alphonse de Lamartines in seiner
„Geschichte der Restauration" wird immer gelten: „Zwei Länder werden sich immer
rühmen, Murat geboren zu haben: Frankreich, dem er diente, Italien das er regierte.
Aber vor allem gehört er der Welt der Phantasie und der Poesie an, der Fabel durch
seine Abenteuer, dem Rittertum durch seinen Charakter, der Geschichte durch seine
Zeit "41.

41 Carl Bleibtreu (1859 - 1928) ließ Joachim Murat ebenfalls früh Gerechtigkeit widerfahren,
siehe ders.: Marschälle, Generale, Soldaten Napoleons I. Berlin o. J. S. 212: „Man wird nicht
der größte Reiterführer aller Zeiten, neben Hannibal, Cromwell und Seydlitz, wenn man ein
hohlköpfiger Scharlatan ist..."

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