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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0105
Frauenarbeit in der Industrialisierungsphase

nun die Gemeinschaft für die materielle Unterstützung der jungen Frau aufkommen.
Die meisten unehelichen Mütter waren bettelarm und fielen daher mit ihren Kindern
der Gemeinde zur Last. Hinter der moralischen Entrüstung über uneheliche Geburten
verbargen sich also häufig auch ganz konkrete soziale Probleme. Voreheliche
sexuelle Beziehungen bargen zumindest für die dörfliche Oberschicht die Gefährdung
ihrer materiellen Privilegien, insbesondere durch uneheliche Kinder oder eine
erzwungene unstandesgemäße Heirat49.

Neben solch „heiratspolitischen" Aspekten, die bei der Partnerwahl eine Rolle
spielten, war die Eheschließung im 19. Jahrhundert schließlich auch an wechselnde
rechtliche Voraussetzungen gebunden. Hatten zu Beginn des Jahrhunderts mit
Anlehnung des württembergischen Rechts an das französische für Gemeindebürger
- allerdings auch nur für diese - faktisch keine Heiratsbeschränkungen mehr bestanden
, wurde dieser liberalen Regelung 1833 ein Ende bereitet. Das revidierte Gesetz
über das Gemeinde-Bürger- und Beisitzrecht schränkte Heiratsmöglichkeiten wieder
ein. Die Bürgeraufnahme war nun an den Besitz eines bestimmten Vermögens gebunden
, und eine Eheschließung hing u. a. vom Befähigungsnachweis zum selbständigen
Betrieb eines Gewerbes ab. Eine weitere Verschärfung des Bürgeraufnahme- und Heiratsrechts
brachte die wirtschaftliche Krise der 1840/50er Jahre. Das Gesetz von 1852
forderte für eine Heiratserlaubnis eine ganze Reihe von Voraussetzungen, so das Bürger
- oder Beisitzrecht, den Nachweis eines „genügenden Nahrungsstandes", ein kleines
Vermögen von 150 bis 200 Gulden, einen „untadeligen Lebenswandel" sowie die
Fähigkeit zur Haushaltsführung. Eine gewisse Liberalisierung der Rechtspraxis setzte
mit Besserung der wirtschaftlichen Lage in den 1860er Jahren ein und erst mit der
Reichsgründung 1871 verschwanden die Heiratsbeschränkungen endgültig50.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung lassen sich auch für die hier betrachtete
Region nachvollziehen. Im Bezirk des Oberamts Balingen nahm seit 1861 die relative
Zahl der Verheirateten erheblich zu. Seit den 1870er Jahren führten die Aufhebung der
Eheschließungs-Beschränkungen und günstigere wirtschaftliche Verhältnisse sowie
die Freizügigkeit, d.h. der Wegfall von Zuzugsbeschränkungen, auch im Baiinger
Bezirk zu einer bedeutenden Vermehrung der Eheschließungen51.

Festzustellen ist auch, dass gegen Ende des Jahrhunderts in denjenigen Teilen des
Bezirks mit einem höherem Anteil gewerblicher Bevölkerung Ehen häufiger und früher
geschlossen wurden als in anderen Teilen52. Otto Reinhard kam in seiner 1899
veröffentlichten Studie zur württembergischen Textilindustrie zu dem Schluss, dass
die außerordentlich hohe Zahl verheirateter Personen auf die Textilindustrie zurückzuführen
sei, da sie ihren Beschäftigten die Begründung eines Hausstandes ermögliche
. Er verwies darauf, „...dass die in ledigem Stande wahrgenommene Beschäftigung
seitens eines oder beider Gatten fortgesetzt werden kann, sei es, dass die hausindustrielle
Thätigkeit der Frau die Verwendung im geschlossenen Betrieb ablöst"53.

49 Stein (wie Anm. 14), S. 105ff.

50 Schraut (wie Anm. 48), S. 92ff.

51 Beschreibung des Oberamts Balingen (wie Anm. 11), S. 85.

52 Ebd., S. 80.

53 Reinhard (wie Anm. 27), S. llf.

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