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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0115
Frauenarbeit in der Industrialisierungsphase

14. HEIMARBEIT

In der Trikotagen-Industrie des Baiinger Bezirks wurde die von Frauen getätigte
Arbeit meist in Heimarbeit vergeben, während in Stuttgart aus Gründen der Qualitätssicherung
auch Näharbeiten überwiegend in der Fabrik ausgeführt wurden82.

Die Heimarbeiterinnen in Tailfingen und in Stuttgart kamen aus ganz unterschiedlichen
sozialen Schichten. In Stuttgart nähten zunehmend Töchter „aus besser
situierten Kreisen" in Heimarbeit83. Ausgangs des 19. Jahrhunderts waren große Teile
des Bürgertums von sozialem Abstieg bedroht. Die reale Einkommenssituation
bürgerlicher Familien entsprach oft nicht mehr ihrem nach außen geführten repräsentativen
Lebensstil, und immer mehr Bürgertöchter konnten sich nicht „standesgemäß
" verheiraten und waren auf Erwerbsarbeit angewiesen. Da dies weder dem bürgerlichen
Selbstverständnis noch gängigen Normen entsprach, sollte die Erwerbsarbeit
nach außen hin nicht sichtbar werden, und so kam die Heimarbeit sehr gelegen.
Die „verschämte" Heimarbeit bürgerlicher Frauen, der Nebenerwerb unverheirateter
Haustöchter waren wirkungsvolle Mittel, die Löhne zu drücken84.

Die in Heimarbeit nähenden Frauen des Ebinger Raums hatten andere soziale Voraussetzungen
und Motive. Wenn auch die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiterinnen
schlecht und ihre Löhne sehr niedrig waren, war sie bei vielen Frauen beliebt.
Junge Mädchen nahmen oft Heimarbeit an, weil sie ihnen mehr Unabhängigkeit und
Selbständigkeit bot als eine Arbeit als Dienstmädchen oder Magd85. Viele Menschen
aus dem ländlichen Raum, die aus bäuerlichen Familien kamen, in denen sich wenige
Jahre zuvor der Arbeitsrhythmus noch nach den Jahreszeiten gerichtet hatte, Arbeitsphasen
im Sommer von Ruhephasen im Winter abgelöst wurden, scheuten die Arbeit
in geschlossenen Betrieben mit ihrem strikten Beaufsichtigungssystem. „Wir wollen
nicht ins .Zuchthaus'" - führten selbständige Wirker und auch Heimarbeiterinnen
gegen die Fabrikarbeit ins Feld86. Für verheiratete Frauen bot die Heimarbeit zudem
den Vorteil, dass sie „nebenher" die Kinder beaufsichtigen sowie den Haushalt und
die kleine Landwirtschaft betreiben konnten. Oft übernahmen Frauen, deren Mann
in der Fabrik tätig war oder die selbst vor ihrer Heirat in der Fabrik gearbeitet hatten,
für diese Fabrik später Heimarbeit. 1895 wurden in Tailfingen 257 in Heimarbeit tätige
Näherinnen gezählt87. Eine Statistik des Oberamts Balingen über die in der Haus-

82 Reinhard (wie Anm. 27), S. 51 f.

83 Ebd.

84 Ebd. Vgl. Hausen (wie Anm. 34). Brigitte Heck: Frauenerwerbsarbeit im textilen Heimgewerbe
. In: Zwischen Schule, S. 105-138, S. 108f.

85 Vgl. auch Pfarrbericht für die Kirchen-Visitation Tailfingen 1871, Landeskirchliches Archiv
Stuttgart, A 29 Nr. 4552. Inzwischen veröffentlicht: Peter Th. Lang (Hrsg.): „Eckig und
unpoliert". Der Visitationsbericht des Tailfinger Pfarrers Adolf Kieser aus dem Jahr 1871. In:
Heimatkundliche Blätter 2002, S. 1315-1319, 1324.

86 Reinhard (wie Anm. 27), S. 56.

87 Die Standorte der Gewerbe Württembergs nach Gemeinden am 14. Juni 1895. (Gewerbetopographie
) hg. V d. K. Statistischen Landesamt. Stuttgart 1900 (Ergänzungsband III zu den
Württembergischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde).

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