Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
42(127).2006
Seite: 43
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Gründungslegenden, Fälschungen und kritische Geschichtsschreibungen

Pläne gekannt, da deren Umsetzung ja in aller Öffentlichkeit erfolgte. Z. B. erscheint
erstmals in der Titulatur des Abts die Formulierung des ohnmittelbaren gefreiten
Stifts- und Gotteshauses... und 1766 dann die endgültige Fassung des uralten unmittelbar
reichsfreien Stifts und Gotteshauses..., die mit dem landsässigen Status nicht zu
vereinen war. Hier wurde ein Anspruch erhoben, den es einzulösen galt. Alle Augustinerchorherren
waren sicherlich mit derartigen Bestrebungen einverstanden, da eine
Reichsunmittelbarkeit ihnen eine ganz andere Stellung verschafft hätte. Sie sahen
wahrscheinlich die Inszenierung der neuen Geschichte als eine Notwendigkeit an,
den neuen Rechtsanspruch zu untermauern. Im Bewusstsein der damaligen Augustinerchorherren
kam der von Abt Rudolf betriebenen neuen Politik daher eine positive
Bedeutung zu. Ein angeblich früherer Zustand, nämlich die Reichsunmittelbarkeit,
sollte wieder hergestellt werden. Den Regierungsstellen ging es dagegen um den
Erhalt von Rechtspositionen, die ihnen über das Stift und dessen Besitzungen nutzbare
Rechte brachten. Für sie stellten die neue „Fakten" einen Bruch mit dem bisherigen
Recht dar. Daher kam in diesen Kreisen der Vorwurf der Fälschung von Dokumenten
auf. Heute kommen wir nicht umhin, trotz dieser unterschiedlichen Betrachtungsweisen
von Fälschung zu sprechen.

Es ist unbestritten legitim, Gründungslegenden zu entwickeln. Die eigene heilsgeschichtlich
bedeutsame Gründung gehörte zu den zentralen Ereignissen, die sich jede
geistliche Gemeinschaft im Laufe des Kirchenjahres, mindestens am Tag der Weihe
der Kirche, wahrscheinlich aber auch bei anderen Gelegenheiten, vergegenwärtigt und
in Erinnerung gerufen hat. Die Gründungslegende oder die Gründungsgeschichte ist
daher zu einer fest gefügten literarischen Gattung geworden, die mit bestimmten
Motive und Topoi arbeitet. Ausdeutende Erinnerung und Erklärungen für die von
Gott gegebene Entwicklungen der eigenen geistlichen Einrichtung finden wir bei vielen
geistlichen Gemeinschaften. „Bei jeder größeren Gruppenbildung erscheint geradezu
zwangsläufig eine Tradition, die hilft, die Gruppe zusammenzuhalten"20.
Neben die Memoria, neben das liturgische Gedenken wird daher die historische Tradition
, wie sie Graus definiert hat, gestellt. Es handelt sich um eine Erzählung über
Vergangenes, das von Bedeutung für die Gegenwart ist. Die vom Beuroner Konvent
vorgenommene Traditionsbildung ist teilweise eine Reaktion auf die jeweiligen Auseinandersetzungen
mit der Obrigkeit oder umgebenden Gewalten oder auf innere
Zustände. Die Texte sind daher wichtige Quellen für die Zeit, in der sie entstanden
sind.

Hiervon abzusetzen ist das, was in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts
in Beuron geschah. Der Vorwurf der Fälschung von Dokumenten trifft auf die
Beglaubigung von Texten zu, die in voller Absicht der Desinformation verfasst worden
waren, um den Begriff von Franz-Josef Schmale aufzunehmen. Leopold Stierle
geht davon aus, dass sie Beuroner Chorherren die Geschichte ihres Stifts erforscht
hätten21. Dies war jedoch nicht der Beweggrund. Es ging ihnen um die Herstellung
neuer Dokumente, um staatsrechtliche Veränderungen herbeiführen zu können.

20 Frantisek Graus: Lebendige Vergangenheit. Uberlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen
des Mittelalters. Köln, Wien 1975. S. 2.

21 Stierle (wie Anm. 3), S. 16.

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