Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
42(127).2006
Seite: 268
(PDF, 55 MB)
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Neues Schrifttum

wie die Inventarliste eines Museums liest, z.B.: „eine Mundspraydose: Aufschrift:
,Odol kräuterfrisch', zylindrische Form, mit Verschlusskappe, zerbeult und im unteren
Teil ein Loch ins Metall gerissen (ca. 6 cm x 1,5 cm)" etc.

Leider bleiben bei dieser unkonventionellen, postmodern anmutenden Methode
wichtige Aspekte aus Elsas Leben auf der Strecke. Fragen nach den Gründen, weshalb
Elsa Botin geworden ist, weshalb sie unter Vormundschaft gestellt wurde oder weshalb
sie den Abfall vom Wegesrand aufsammelte und hortete bleiben letztlich ungeklärt. Zu
Elsas Sammelleidenschaft meint die Autorin lediglich lapidar, Elsas „Tun und Sein"
lasse sich „auf keine eindeutige Erklärungsgrundlage stellen". Befremdlich wirkt auch
ihre Deutung, das Sammeln und Aufbewahren von Abfall sei Ausdruck von Elsas
Bestreben, die Ordnung der Dinge wieder herzustellen: „Dinge können am falschen
und am richtigen Ort liegen. [...] Dadurch, dass sie einen Ort von den falschen Dingen
befreit und diese an einen »richtigen Ort' bringt, an dem die Dinge wieder brauchbar
werden können, wertet sie beides auf. Sie gibt den Dingen eine Bestimmung." Als
Transporteurin von Gegenständen der alten, bäuerlich-handwerklichen Welt einerseits
und als Sammlerin und Bewahrerin des Abfalls der Moderne andererseits stilisiert sie
Elsa zur Grenzgängerin zwischen einer Welt, in der „etwas nicht wertlos werden
kann" und einer, in der „etwas von Anfang an wertlos ist".

Ein weiteres, vor allem sprachliches Problem stellt die Lektüre der Interviews dar.
Die seitenlangen, in breitestem Dialekt wörtlich wiedergegebenen Gesprächspassagen
sind nicht nur wegen der zahlreichen Belanglosigkeiten im Stil von „Ja, das sei eine
harte Zeit gewesen, alleine mit den drei Kindern und der Landwirtschaft" enervierend
, für Leserinnen und Leser ohne schwäbische „Sprachkenntnisse" sind sie
schlicht unverständlich.

Obwohl sich die Autorin nach eigenem Bekunden auf keine herkömmliche wissenschaftliche
Methode festlegen möchte, orientiert sie sich im Wesentlichen am Forschungsansatz
der Historischen Anthropologie bzw. der Mikrogeschichte, die den
Blick auf kleine, überschaubare Räume richtet und „den konkreten Menschen mit seinem
Handeln, Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der Analyse stellt" (R.
van Dülmen). Die Konzentration auf den individuellen Wahrnehmungs-, Erlebnis-
und Erfahrungshorizont der Akteure und der weitgehende Verzicht auf die Betrachtung
von Strukturen und langfristigen Entwicklungsprozessen hat der Historischen
Anthropologie jedoch den Vorwurf eingebracht, ein „statisches und tendenziell ent-
historisiertes Geschichtsbild" (R. Schlögl) zu entwerfen, und dies trifft auch auf das
vorliegende Buch zu. Elsa Saile bewegt sich in einem scheinbar geschichtslosen Raum,
und dies obwohl ihr Leben nahezu das ganze 20. Jahrhundert umspannt. So geht die
Autorin beispielsweise auf den Strukturwandel der 60er und 70er Jahre, von dem
auch die bäuerlich-handwerkliche Dingwelt, die Elsa auf dem Rücken herumschleppte
, erfasst und grundlegend verändert wurde, nur am Rande ein. Umso ausführlicher
beschreibt sie stattdessen das idyllische Ambiente in der ehemaligen Werkstatt
eines Mössinger Rechenmachers. Indem die Autorin darauf verzichtet, Elsas
außergewöhnliches Leben in den Kontext übergreifender Entwicklungs- und Veränderungsprozesse
einzubetten, verweigert sie der Geschichte ihrer Protagonistin letztlich
ein Stück historische Relevanz, die über die enge Welt der Heimat- und Dorfgeschichten
hinausgeht.

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