Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
43(128).2007
Seite: 284
(PDF, 57 MB)
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Neues Schrifttum

war letzterer doch seit 1968 immer wieder sehr massiv als Altnazi abqualifiziert worden
. So hat es denn fast den Anschein, als sei im kollektiven Gedächtnis der Deutschen
von Kiesinger nichts anderes übrig geblieben das die Ohrfeige, die ihm Beate
Klarsfeld verpasste.

Zu Unrecht, wie Vf. mit einem stupenden Arsenal von Quellenbelegen und Argumenten
überzeugend darlegt. So weist er darauf hin, dass Kiesinger trotz seiner Begabungen
nicht, wie zahllose andere junge Männer seiner Generation, im Dritten Reich
Karriere machte. Vielmehr suchte er zunächst als Rechtslehrer eine Nische. Um der
Einberufung zum Kriegsdienst zu entgehen, fand er Unterschlupf bei der Propaganda
-Abteilung des Außenministeriums, einer Behörde, die durch das nahezu allmächtige
Propagandaministerium kalt gestellt wurde und weitgehender Bedeutungslosigkeit
anheim gefallen war. Antisemitische Aktionen seines Amts machte Kiesinger derart
halbherzig mit, dass er von zwei seiner Mitarbeiter höheren Orts denunziert wurde
. Eine Strafverfolgung unterblieb wohl nur, weil ein Großteil der einschlägigen
Akten bei einem Bombenangriff verloren ging. Sicher: Kiesinger war 1933 Mitglied
der NSDAP geworden. Gassert widmet den möglichen Motiven ein ganzes Kapitel.
Ein glühender Nazi war er darob allerdings nicht, wie allein schon die parteiinterne
Buchführung über seine Mitgliedsbeiträge zeigt: Er entrichtete diese nämlich höchst
unregelmäßig.

Nach dem Krieg nahm er zunächst seine Tätigkeit als Rechtslehrer wieder auf. Der
baden-württembergische Ministerpräsident Gebhard Müller war es, der ihn in die
Politik holte, und dort machte er dank seines großen rhetorischen Talents bald Karriere
. Gassert hebt mit Nachdruck ab auf Kiesingers Verdienste als Rechtspolitiker:
Am Gesetz über das Bundesverfassungsgericht wirkte er ebenso entscheidend mit
wie an der Ausgestaltung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag
. Gassert betont zudem, dass Kiesinger durch seine Erfahrungen im Dritten Reich
zu den „gebrannten Kindern" gehörte, zu jenen Politikern also, die in der Frühzeit
unserer Republik alles daran setzten, um eine Wiederholung der Nazi-Katastrophe zu
verhindern.

Die Fülle der Gesichtspunkte, die ungemein breite Quellenbasis wie auch die Ausgewogenheit
der Betrachtung macht Gasserts Habilitationsschrift ohne Zweifel zum
maßgeblichen Werk über den dritten Kanzler der Bundesrepublik Kurt Georg Kiesinger
.

Nicht nur vom Umfang her ist das schmale Bändchen von Otto Rundel vollkommen
anders geartet. Rundel war Kiesingers Persönlicher Referent in dessen Zeit als
Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und auch nach dieser Zeit blieb er Kiesinger
bis zu dessen Tod eng verbunden. Vf. beobachtet also seinen Protagonisten aus
denkbar großer, persönlicher Nähe. Auf diesem Wege erfahren wir eine Fülle kleiner
Details über die Eigenheiten, Vorlieben und Gepflogenheiten seines Chefs.

Kiesinger konnte als Vorgesetzter äußerst unangenehm sein, dies räumt Vf. unumwunden
ein: Um seine lautstarken Wutausbrüche zu ertragen, bedurfte es eines recht
robusten Nervenkostüms. Andererseits beeindruckte er seine Umgebung nachhaltig
durch sein pädagogisches Geschick, durch seine enorme Belesenheit, durch seinen
überaus weiten Bildungshorizont und nicht zuletzt durch den Glanz seiner rhetorischen
Begabung; all das lässt auch Vf. nicht ungerührt.

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