Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
46(131).2010
Seite: 19
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2010/0027
Geraubte Heimat

wird Rieser ein rassenschänderisches Verhältnis vorgeworfen, womit der Talmudjude
das deutsche Buchloe als Heimatort der Frau provoziere und beleidige. Das artvergessene
Weib und jeder Scham bare Frauenzimmer besitze die Frechheit, ihre Schande in
der Öffentlichkeit zu verteidigen. Sie habe sich an einen Juden weggeworfen und damit
von ihrem Volke für immer losgesagt. Am Ende steht die Aufforderung an die Frau,
ihr Bündel zu packen und mit dem Juden aus Deutschland zu verschwinden. Kreaturen
, wie sie eine ist, weint im heutigen Deutschland niemand eine Träne nach.

Kurt Frank, der nach der Reifeprüfung am Staatlichen Gymnasium Sigmaringen
1930 das Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt, München und Würzburg
begonnen hatte und nach dem Examen in die Anwaltskanzlei seines Onkels Leopold
Rieser in Augsburg eintreten sollte, muss den Ungeist der neuen Zeit bereits 1933 am
eigenen Leib erfahren.84 Als an der Universität Würzburg Nazis Jagd auf jüdische Studenten
machen und diese die Treppen hinabstoßen, versteckt er sich zwei Tage in einem
Braukessel. Nach diesem erschreckenden Erlebnis setzt Kurt Frank sein Jurastudium
zunächst in Grenoble fort. Nach einem Jahr wird sein Visum in Frankreich nicht verlängert
, und es folgt ein Wechsel an die Universität Barcelona in Spanien. Angesichts
des allenthalben grassierenden Antisemitismus sieht Kurt Frank keine Zukunft für sich
in Europa und wandert schließlich 1936 über Le Havre in die USA aus, nachdem ihm
sein bereits nach New York emigrierter Onkel Benno Rieser die erforderlichen Papiere
geschickt hatte. In Amerika wird seine juristische Ausbildung indessen nicht anerkannt
, so dass er sich zunächst, auch in Ermangelung englischer Sprachkenntnisse, als
Geschirrspüler, Fabrikarbeiter und Hausierer durchschlagen muss.85

Schlimmes muss auch Lisa Frank erdulden. Am Staatlichen Gymnasium in Sigmaringen
, wo die Lehrer bereits 1933 Erklärungen bzgl. ihrer Abstammung von arischen
Vorfahren abgeben mussten und im Jahr darauf von Studiendirektor Albert Thiesen auf
den Führer des Deutschen Reiches und Volkes vereidigt worden waren,86 gerät die bislang
beliebte Mitschülerin als einzige Jüdin an der Schule in eine fortschreitende Isolation
. Die bisherigen Freunde meiden sie zunehmend und kommen alsbald nicht mehr
zu ihr nach Hause.87 In der Unterprima schließlich, ein Jahr vor dem Abitur und dem
angestrebten Medizinstudium, wird die soziale Ausgrenzung der damals 17-Jährigen
immer radikaler, und Lehrer wie Mitschüler sprechen nach ihren Erinnerungen ein ganzes
Jahr lang nicht mehr mit ihr.88 Studienrat Wilhelm Friedrichs, der als Mieter der
Franks im zweistöckigen Wohnhaus vor dem Saalbau wohnt, sucht schließlich nachts
Lisas Mutter Emma auf und empfiehlt ihr, die Tochter von der Schule zu nehmen, um

84 Vgl. zum Folgenden: Wiedergutmachungsverfahren Kurt Frank (StAS Wü 33 Tl Nr. 6158). - Filminterview
Lisa Heyman 1997 (wie Anm. 42); Angaben von Emma Frank beim Landesamt für Wiedergutmachung
Tübingen am 1.10.1954 (Wiedergutmachungsverfahren Siegfried Frank, wie Anm. 18). - Schreiben (E-Mail)
von Lisa und Patsy Heyman vom 17.11.2010 (Kreisarchiv Sigmaringen).

85 Ebenda. - Eidesstattliche Erklärung von Witwe Emma Frank gegenüber dem Landesamt für Wiedergutmachung
Tübingen vom 2.7.1957 (Wiedergutmachungsverfahren Siegfried Frank, wie Anm. 18).

86 Staatliches Gymnasium zu Sigmaringen - Direktor und Lehrer 1931-1944 (StAS Ho 338 T1 Nr. 29).

87 Protokoll der telefonischen Zeitzeugenbefragung von Lisa und Patsy Heyman vom 19.11.2010 (Kreisarchiv
Sigmaringen).

88 Filminterview Lisa Heyman 1997 (wie Anm. 42). - Schreiben Lisa und Patsy Heyman vom 17.11.2010
(wie Anm. 84). - Wiedergutmachungsverfahren Lisa Hilda Heyman geb. Frank (StAS Wü 33 T1 Nr. 6475).

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