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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1926/0790
Winterberg: Das Urteil des Kammergerichts.

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des § 193 StGB, durchgreift. Zwar kann es sich nicht darum handeln, daß der Angeklagte
berechtigte Interessen wahrgenommen habe. Denn weder die okkultistische
Richtung als solche noch speziell die Vorgänge in der Sitzung vom 11. April
1923 sind Angelegenheiten, welche die eigenen Interessen des Angeklagten, oder
ihm zwar fremde, ihn* aber kraft besonderer Beziehungen, nahe angehenden berührten
. Dagegen hat das Landgericht mit Recht dargelegt, daß die Aeußerungen
des Angeklagten ein tadelndes Urteil über eine wissenschaftliche Leistung darstellen.
Auch eine solche Kundgebung fällt unter § 193 StGB. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß nach heutigen Anschauungen der Okkultismus ein wissenschaftliches Problem
ist. Er ist ein Versuch, psychische Kräfte zur Erklärung unorganischen Naturgeschehens
heranzuziehen. Ernstgemeinte Versuche und Vorführungen auf diesem
Gebiete sind unbedenklich als wissenschaftliche Leistungen anzusprechen, die ihrerseits
einer Kritisierung ausgesetzt sind. Zu dieser Leistung gehört selbstverständlich
auch die Tätigkeit oder das sonstige Verhalten des Mediums. Der Ausführung
der Revision, daß dies deshalb nicht der Fall sei, weil bei dem Medium ein lediglich
passives Verhalten eines Versuchsobjektes in Frage stehe, trifft nicht zu.
Ist überhaupt eine tadelnde Kritik okkultistischer Vorführungen als wissenschaftlicher
Leistungen dem Schutz des § 193 unterstellt, so muß dies auch gelten, soweit
sie das Medium und sein Verhalten — eben den Kernpunkt der Vorführungen
— betrifft. Ob das Verhalten des Mediums als passiv oder als aktiv zu bewerten ist,
entbehrt dabei der Bedeutung, da es selbst wesentlicher Teil der Vorführung ist. —
Eine solche an sich zulässige Kritik hat nach der tatsächlichen Annahme des Landgerichts
der Angeklagte ausüben wollen und ausgeübt. Er würde daher nur dann
strafbar sein, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung, worunter nach ständiger
Rechtsprechung das Vorliegen einer beleidigenden Absicht zu verstehen ist, aus
der Form der Aeußerung oder den Umständen, unter welchen sie geschah, sich
ergeben würde. Das Landgericht hat diese Frage eingehend geprüft und verneint
. Es hat erwogen, daß Ausdrücke der vom Angeklagten gebrauchten Art in
der okkultistischen und der ihr gegnerischen Literatur, in der von jeher eine schärfere
Tonart geherrscht habe, durchaus gebräuchlich seien, die ohne besondere
Bedingungen, die hier nicht gegeben seien, nicht als beabsichtigt ehrenkränkend
betrachtet w erden könnten. Was die Umstände anlangt, so ist der Tatsache,
daß der Angeklagte die telephonteche Richtigstellung des Protokolls durch Dr. Bruck
nicht berücksichtigt hatte, mit eingehender Begründung die Bedeutung für das
Vorhandensein einer Beleidigungsabsicht abgesprochen worden. Einen Rechtsirrtum
lassen diese Darlegungen, die zu der das Revisionsgericht bindenden Feststellung
des Nichtvorliegens einer beleidigenden Absicht führen, nicht erkennen. Danach
aber ist die Freisprechung zu Recht erfolgt und die Revision des Privatklägers unbegründet
"

Zu diesem Urteil des Kammergerichts ist folgendes zu bemerken:
Das Urteil deckt sich in rechtlicher Hinsicht mit dem Urteil erster Instanz,
nämlich des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg, indem es §186 StGB, als gegeben
ansieht, also eine üble Nachrede durch Verbreitung
unwahrer Tatsachen annimmt. Andererseits bestätigt das Kammergericht
als richtig die Anwendbarkeit des § 193 StGB, nach Maßgabe des festgestellten
Sachverhalts, wonach tadelnde Urteile über wissenschaftliche Leistungen straffrei
sind.

Das Urteil des Kammergerkhts erklärt aber ausdrücklich, daß es nicht in der
Lage war, zu prüfen, ob der Ausnahmefall des § 193 StGB, vorliegt, nämlich ob eine
Bestrafung deshalb hätte erfolgen müssen, weil die Absicht der Beleidigung aus
den Umständen oder aus der Form der Aeußerung hervorgehe. In dieser Hinsicht
erklärt das Kammergericht, keine Stellung nehmen zu können, da es durch
die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts gebunden ist, wonach die „A b -
sieht der Beleidigung" auf seiten des Herrn Moll nicht erwiesen sei.

Die praktische Folgerung hieraus ist also, daß — in einem etwaigen neuen
Prozeß — bei der Beweisführung darauf besonderes Gewicht gelegt werden muß,
daß aus der Form und den sonstigen Umständen auf eine beleidigende Absicht zu
schließen war.

Eine weitere interessante Rechtsfrage ist die, ob auf Grund der Ergebnisse des
Privatklageverfahrens das unstreitig in seiner persönlichen Ehre angegriffene Medium
einen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung gegen Herrn Moll hat,


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