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„Der kleine rundliche Qreis" H^i^ ^
UNVERÖFFENTLICHTE BRIEFE HANS THOMAS AN URSULA GÖTT/
Der jüngst verstorbene Dichter und Maler
Hermann Burte legt in seinem 1912 erschienenen
, von Richard Dehmel mit dem Kleistpreis
ausgezeichneten Roman „Wiltfeber", der eine
für damalige Zeiten außerordentlich kühne,
um nicht zu sagen aufrührerische Abrechnung
mit de- Heimat auf politischem und kulturellem
Gebiet darstellt, auf einem Schulfest in
Wiesingen dem Heinrich von Susenhart in einer
Ansprache die nachfolgenden Worte in den
Mund: „Siehst du den kleinen rundlichen Greis
mit dem netten Gesicht und den klugen Äuglein
... ein Wälderbüblein ist er gewesen und
nun ein Allerweltsmann ... er ist oberster Anwärter
auf die Liebkindlesstelle am Busen des
Fürsten, und die Hohen Schulen haben ihn
vorgemerkt für die Liste ihrer Doktorhüte aus
Gründen der Ehre. Schon mit 19 Jahren malte
er ein Pärchen Frankfurter Würste auf einen
weißen Teller vor eir*or grauen Wand mit
überwältigendem seelischem Ausdruck."
Jeder spürte den Hohn, den ein damals noch
völlig unbekannter blutjunger Dichter über
die ehrwürdige Gestalt Hans Thomas (denn
mit dem „kleinen rundlichen Greis" war er
gemeint) ausgegossen hatte. Wohl wurden
Stimmen laut, die, von der herausfordernden
Sprache eines „Größenwahnsinnigen" angeekelt
, nach dem Staatsanwalt schrien. Aber
Hermann Burte hatte Glück! Noch ehe sich die
Stimmen zu einem weithin hörbaren Protestschrei
verdichteten, brach der erste Weltkrieg
aus, in dessen Strudel der „Wiltfeber" mitsamt
seinem Verfasser zunächst unterging. Es standen
wichtigere Dinge auf dem Spiel, als einem
jugendlichen Dichter auf die Finger zu klop-
fer, und als der unheilvolle Ausgang des Krieges
die angeprangerten Gestalten des Romans
(u. a. auch Großherzog Friedrich zu Fürsten-
sc i?fe, den Landesbischof und „Obersten der
Blau-Reiter") hinweggefegt hatte, waren auch
diejenigen verschwunden, die sich von dem
„j'aecuse" des Dichters angewidert gefühlt hatten
.
Nicht einmal der „Nurmaler, der Mann mit
dem Pinscher", wie Hans Thoma charakterisiert
wurde, hatte Lust, sich gegen die Anwürfe
eines Mannes zu wehren, dessen „Pamphlet"
mit dem Kleistpreis ausgezeichnet worden war!
Nur in zwei Briefen an Ursula Gott, die Mutter
des Dichters Emil Gött, machte er, den das
Kriegsende völlig resignieren ließ, sich Luft.
Am 29. Mai 1919 schrieb er ihr: „Es fällt mir
jetzt alles so schwer, weil ich alt bin. Die Beweglichkeit
, die ich sonst immer gehabt habe,
die körperliche Rüstigkeit hört allmählich auf,
und eine widerliche Steifigkeit macht mir Niedersitzen
und Aufstehen zu einer Sache von
Wichtigkeit. Freilich nimmt man dagegen andere
Dinge nicht mehr so wichtig, z. B. wenn
ein Goliath aus dem Lande der Philister einen
anrempelt und vernichten will. Das Hirtenbüb-
lein David kann jetzt allerdings nicht mehr mit
ihm fechten, weil ihm die Lust dazu und jugendliche
Behendigkeit fehlt, aber ich weiß,
daß er an meinem stacheligen Igelmantel die
Schnauze blutig stoßen wird. Ich bin nämlich
(was ich Ihnen noch nie gesagt habe, was ich
ab^r vor 20 Jahren schon dem bekannten Rem-
brandtdeutschen Langbehn sagte, als er meinte,
ich werde noch einmal als ein Held wie ein
Wildeber um mich hauen) ein Igel, ein weiches
härmloses Tier, dem die gütige Natur zum
Schutz einen Stachelpelz verliehen hat, so daß
kein Hund ihm was tun kann ... Es scheint,
daß der Angreifer ein bedeutender Hund ist,
aber was geht das den Igel an; es ist ihm „igal",
ob ihn ein Rassehund auffressen wjill, oder ein
Scherenschleifer. , '
Es ist jetzt überhaupt eine Zeit der maßlosesten
Angriffe über mich hereingebrochen.
Bei einigen merke ich es deutlich heraus, daß
der Grund der ist, daß ich zu lange lebe, daß
ich im Wege stehe, als ein Klotz, den man nicht
umgehen kann, weil er vom „Deutsch-Ewigen"
(nicht zu verwechseln mit dem „Ewigdeutschen
") hingesetzt ist ...".
In freundschaftlicher Gesinnung
Ihr Hans Thoma
Und in einem zweiten, undatierten, aber das
gleiche Thema berührenden Brief an Ursula
Gött schreibt Hans Thoma: „ ... in den Burte-
Vortrag würde ich auch nicht gegangen sein,
wenn ich in Karlsruhe gewesen wäre.
Warum hätte ich hineingehen sollen? Übrigens
bin ich über die Feindschaft fast froh, ich
fürchtete sonst, daß der liebe Gott bei der Abrechnung
mich fragen könnte: „Wie kommt
denn das, daß du keine Feinde hast, die doch
jeder rechtschaffene Mensch haben muß." Ihr
Urteil über meine Feinde ist sehr richtig; aber
si können mir nichts anhaben, und der
Schwerthieb, den mir Burte so tückisch versetzen
wollte, ist abgeprallt." Ihr Hans Thoma.
Als einen nicht alltäglichen Fall der Ironie,
den das Leben in solcher Reinkultur nur selten
bereithält, man mag es nehmen, daß dem Verunglimpfer
Hans Thomas, Hermann Burte, in
seiner Eigenschaft als Maler 50 Jahre später
der Hans-Thoma-Preis verliehen wurde!
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