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der Extremitäten von Camelopardalis ist ebenfalls kein Hinderniss für die Annahme einer
näheren Verwandtschaft, denn sie ist doch sicher lediglich eine Specialisirung, die noch dazu
durch Formen wie Samotherium mit der Organisation von Palaeomeryx verbunden wird.
Schwieriger wäre dagegen die Ableitung der Giraffinae von den Protoceratiden des
nonlamerikanischen Oligocän oder Untermiocän, denn es besteht nicht bloss zeitlich eine grössere
Lücke zwischen Protoceras1) und Camelopardalis als zwischen Palaeomeryx und Camelopardalis
, das Haupthinderniss für die Annahme einer directen Verwandtschaft liegt vielmehr
darin, dass Protoceras im Schädelbau specialisirter ist als Camelopardalis. Die erstere
Gattung besitzt nämlich mehr knöcherne Protuberanzenpaare am Schädel als Camelopardalis,
es müsste also, soferne letztere Gattung aus Protoceras entstanden wäre, ein Theil dieser
Auswüchse Reduction erlitten haben. Da wir jedoch nur wenige Beispiele dafür haben, dass
in einer genetischen Reihe Specialisirungen aufgetreten sind, welche dann später wieder fast
gänzlich verloren gingen, so dass nahezu der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt wurde,
so erscheint immerhin grosse Vorsicht geboten bezüglich der Ableitung der Giraffinen von
den Protoceratiden. Freilich dürfen wir auch nicht übersehen, dass auch für den Fall,
dass die Giraffinen auf Palaeomeryciden zurückgeführt werden, ebenfalls Reduction einer
Specialisirung und Regenerirung eines früheren Zustandes angenommen werden muss, denn es
ist alsdann die Palaeomeryxleiste der unteren Molaren verloren gegangen und der frühere
Gelocuszustand regenerirt worden. Da aber diese Reduction für Nachkommen der Palaeomeryciden
, nämlich für gewisse Hirsche mit voller Sicherheit festgestellt werden konnte, so darf sie
auch innerhalb einer genetischen Reihe Palaeomeryx - Camelopardalis angenommen werden.
Umgekehrt ist es wahrscheinlicher, dass die Sivatheriinen aus Protoceratiden sich
entwickelt haben, als dass sie aus Palaeomeryciden entstanden sind, denn für jene gewaltigen
Umänderungen, welche nöthig gewesen wären, um die Palaeomeryciden in jene aberranten
Formen überzuführen, war die Zeit zwischen Obermiocän und Unterpliocän entschieden zu kurz,
wohl aber wäre der Zeitraum, welcher zwischen der Ablagerung der jüngsten Schichten des
White Riverbed und dem Erscheinen der Sivatheriinen verstrichen ist, mehr als genügend
für die Umgestaltung der Protoceratiden in die Sivatheriinen.
Zudem passen die Protoceratiden ohnehin nicht recht gut zu den übrigen selenodontan
Paarhufern des nordamerikanischen Tertiärs, und schliesslich ist auch durchaus kein Grund
einzusehen, wesshalb sie nach der Ablagerung des nach ihnen benannten Protocerasbed
vollständig ausgestorben sein sollten.
Allerdings zeichnet sich der Schädel der männlichen Individuen von Protoceras
durch den Besitz von Knochenauswüchsen auf den Oberkiefern und am Oberrand der Augenhöhlen
aus, welche bei den Sivatheriinen kein Analogon haben und ausserdem auch
durch den Besitz von Caninen, welche bei diesen fehlen. Auch ist der Schädel ungemein
niedrig. Allein diese Unterschiede erweisen sich theils als Specialisirungen — die erwähnten
Knochenauswüchse — theils als primitiver Zustand, — Besitz von Caninen und flacher niedriger
Schädel —, der auch den ältesten Hirschen eigen war. Dagegen nehmen die Knochenauswüchse
schräg oberhalb der Lacrymalia und jene oberhalb der Temporalgrube genau die nämliche
Stellung ein wie bei den Sivatheriinen. Es bedurfte nur einer beträchtlichen Zunahme der
Körpergrösse, der Bildung zahlreicher Luftkammern am Cranium, einer Vergrösserung der
Protuberanzen auf den Stirnbeinen und Verschmelzung dieser Auswüchse mit jenen an den
Seiten der Scheitelbeine sowie Verkürzung der Gesichtspartien verbunden mit Verlust der
Caninen und Reduction der Protuberanzen auf den Oberkiefern, um den Schädel der Proto-
ceratinen in jenen der Sivatheriinen überzuführen. Vorgänge, die wir zum grössten Theil
auch in anderen Gruppen der Selenodonten beobachten können. Auch war zwischen dem
x) Osborn, H. F. and Wortman, J. L. Characters of Protoceras. Bulletin from the American
Museum of Natural History. New York, Vol. IV, 1892, p. 351—372 und:
Scott, W. B. The Osteology and Relations of Protoceras. Journal of Morphology, Vol. XI, 1895,
p. 301—370, 3 pl.
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