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ZUR INFORMATION/)
-Zwei Irrthümer eigenthümlicher Art hatten lange Zeit
die Vorstellungen von den krankhaften Vorgängen innerhalb
der Schädelhöhle in ihrem Banne gehalten: die Vorstellung,
dass die Nervenmasse des Gehirnes »incompressibel«, und
die, dass die Schädelkapsel »inpermeabel« sei.
Entwickelten sich daher innerhalb der Schädelhöhle
krankhafte Producte von räumlicher Ausdehnung, so nahm
man an, dass sich dieselben nicht auf Kosten der nicht zusammendrückbaren
Gehirnmasse bildeten, sondern auf Kosten
der zwischen Gehirn und Schädelkapsel befindlichen Flüssigkeit
— des Liquor cerebro-spinalis. Derselbe sollte durch
die intracraniellen pathologischen Producte zurückgedrängt,
also auf kleineren Raum zusammengepresst und so unter
höheren Druck gesetzt werden. Diesen erhöhten Druck der
Cerebrospinalflüssigkeit nannte man den »Hirndruck«. Man
schrieb ihm die Wirkung zu, vor Allem gegen die Oberfläche
des Gehirnes zu pressen und so, da auf der Gehirnoberfläche
die das Gehirn versorgenden Blutcapillaren verlaufen, diese
zusammenzudrücken und Gehirnanämie zu erzeugen. Diese
Gehirnanämie endlich sollte die Ursache der sogenannten
»Hirndrucksymptome« sein.
Es hat sich herausgestellt**) dass weder die Nervenmasse
des Gehirns »incompressibel«, noch die Schädelkapsel
»impermeabel«, noch die »Hirndrucksymptome« Folgen einer
Hirnanämie sind.
Die »Hirndrucksymptome« lassen sich durch jede beliebige
Erregung des Gehirnes erzeugen.
Die Nervenmasse des Gehirnes aber konnte ich mit
Hilfe von quellendem Presschwamm, den ich in die Schädelhöhle
von Kaninchen einführte, um ein Viertel ihres Volumens
und mehr comprimiren, ohne dadurch ihre Function
im Allergeringsten zu schädigen. Und der Schädelknochen
ist eine poröse Platte, die in ungezählten Canälen allen
möglichen Strömungen aus dem Schädelinnern nach aussen
und umgekehrt Thür und Thor öffnet.
Gehirnanämie aber kann bei der Entwicklung intra-
cranieller Raumbeschränkungen noch aus ganz besonderen
Gründen nicht entstehen.***)
Wird die Raumbeschränkung durch einen räumlich begrenzten
Herd, eine Geschwulst, erzeugt, so drückt sich
derselbe in die Gehirnsubstanz wie in eine weiche Wachsmasse
ein. Die im Gebiet der Impression verlaufenden Gefässe
aber zeigen sich durch den Druck nicht nur nicht verengt,
sondern vermöge gewisser, den Gefässwänden eigener Re-
actionen im Gegentheil erweitert.
Ist dagegen die intracranielle Raumbeschränkung eine
allgemeine, wie sie durch einen pathologischen Flüssigkeitserg
u s s in den Schädelraum veranlasst wird, so kann auch hie-
bei eine Gehirnanämie aus folgenden Gründen sich nicht bilden:
Im Schädelinneren verlaufen drei Blutgefässröhrensysteme,
und jedes besitzt eine andere Spannung: die Arterien mit einem
Druck von im Mittel (beim Menschen) 200 Mm. Quecksilber
, die Capillaren mit einer weit niedrigeren, aber immerhin
dem arteriellen Druck nahestehenden Spannung von etwa
100 Mm. Ouecksilber und die Schädelvenen mit dem
verhältnismässig ganz ausserordentlich niedrigen Druck von
etwa 10—15 Mm. Wasser.
Es sind ganz elementare physikalische Kräfte, welche
eine Flüssigkeit zwingen, nach den Orten des niedrigsten
Druckes abzufliessen.
Ein pathologischer Flüssigkeitserguss in die Schädelhöhle
muss also zunächst in die Venen des Schädels treten, und
das geschieht schon bei einer Spannung des intracraniellen
Er gusses von 10—1,5 Mm. Wasser. Nimmt diese Spannung
nur um ein Weniges zu, so muss es zu einer Ueberfluthung
der Schädelvenen kommen. Und diese zieht zwei für das
Leben schwere Consequenzen nach sich. Einerseits tritt aus
den bis zu einem gewissen Grade überfüllten Venen Blutwasser
aus und dringt in die Substanz des Gehirns, wodurch
Gehirn Wassersucht oder sogenanntes »Gehirnödem« entsteht
-— eine tödtliche Krankheit. Und anderseits füllt der Pfe-
steigerte Zufluss zu den Venen das rechte Herz im Ueber-
mass aus, spannt seine Wandungen und setzt so ein mechanisches
Hindernis für seine Contraction ein, wodurch in Folge
dieser schweren Störung im Centrum des Kreislaufes selbst
der Tod noch aus einer zweiten Ursache eintritt.
Dieser Tod aus doppelter Ursache, der sich schon bei
einem Druck von wenig mehr, als 10—15 Mm. Wasser im
Schädel entwickelt, schiebt sich wie ein Riegel der Entstehung
einer höheren Spannung im Schädel vor und hindert
die Entwicklung eines die Blutcapillaren des Gehirnes ver-
schliessenden Hirndruckes.
So hat die alte Lehre vom »Hirndruck« ganz an Boden
verloren und es ist an ihre Stelle die Lehre von denjenigen
Veränderungen getreten, welche die Gehirnsubstanz erleidet,
wenn ein intracranieller Herd sie zusammendrückt: — die
Pathologie der Hirncompression.**)
Man kann drei Grade dieser Compression unterscheiden.
Der erste Grad umfasst diejenige Compression, welche
das Gehirn ohne jede Functionsstörung verträgt, der also
klinisch latent verläuft. Ihm sind nur Veränderungen
materieller Natur eigen. Und diese bestehen in einer
Annäherung der gedrückten Nervenelemente aneinander und
einer Verkleinerung derselben durch Verdichtung ihrer
Masse. Ich habe diese Veränderungen als »Condensation«
bezeichnet. Sie ist der sichtbare Ausdruck der Compressi-
bilität der Nervenmasse und die augenscheinliche Wider-
legung der früheren Ansicht von der »Incompressibilität«
des Nervengewebes.
Der dritte Compressionsgrad ist derjenige, durch welchen
die Nervenelemente zerdrückt, zerstört werden. Da
hiebei die Compression nur wie jedes andere Trauma wirkt,
so hat der dritte Compressionsgrad nichts für den Druck als
solchen Eigentümliches.
Zwischen diesen beiden Druckwirkungen liegt der vom
zweiten Grade. Er ist grösser, als dass er die condensirten
Nervenelemente nicht auch functionell beeinflusste und
noch nicht stark genug, um diese Elemente materiell zu
zerstören.
Zwei charakteristische Eigenthümlichkeiten sind es, die
diesen ganz ausserordentlich wichtigen Compressionsgrad auszeichnen
. Erstens ruft er — wenn die motorische Sphäre
gedrückt wird — eine Reihe krankhafter Phänomene hervor
, die klinisch zwar längst bekannt sind, deren innerer Zu-
*) Vorgetragen bei Gelegenheit der Demonstration vorliegender Tafeln in der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien am 8. October 1891.
'*) Adamkiewicz: Die Lehre vom Hirndruck und die Pathologie der Hirncompression. Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien.
Bd. 88. 1883.
Gehirndruck in Eulenburg's Realencyklopädie der gesammten Heilkunde. 2. Auflage.
:*) Derselbe: Ueber das Wesen des vermeintlichen »Hirndruckes« und die Principien der Behandlung der sogenannten »Hirndrucksyrnptome«. Wiener akadem.
Sitzungsberichte. Bd. 99. 1890.
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