Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., TF 2015/15
Adamkiewicz, Albert
Tafeln zur Orientirung an der Gehirnoberfläche des lebenden Menschen bei chirurgischen Operationen und klinischen Vorlesungen
Wien, 1892
Seite: IV
(PDF, 3 MB)
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Anatomische Literatur

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sammenhang aber erst durch die Compressionsversuche klar
geworden ist. Diese Phänomene, denen ich den Namen der
»Compressionsphänomene« gegeben habe, sind:
Krämpfe (Hemiclonus), Spannungen (Hemispasmus), Lähmungen
(Hemiplegie) und Zitterbewegungen auf der der gedrückten
Hemisphäre gegenüberliegenden Körperhälfte.

Zweitens können die dem zweiten Compressionsgrad
eigenen Phänomene durch Entfernung des sie veranlassenden
Druckes wieder zum Verschwinden gebracht werden.

Die Chirurgie hat sich dieser Thatsache von der Heilbarkeit
meiner Compressionsphänomene durch Entfernung
des sie veranlassenden Druckes mit einer gewissen Emphase
bemächtigt und in dem sonst so dunklen Gebiet der
Gehirnpathologie einen scharf begrenzten Abschnitt für ein
erfolgreiches Handeln gefunden.

In der That sind denn auch bereits viele Fälle bekannt
geworden, in denen es Chirurgen gelungen ist, durch operative
Entfernung der das Gehirn drückenden Geschwülste
Compressionsphänomene zum Verschwinden zu bringen.

Es ist im Interesse der leidenden Menschheit zu wünschen
, dass derartige Operationen immer zahlreicher und
mit immer besserem Erfolge ausgeführt werden.

Dazu aber sind zwei Dinge nothwendig: Die richtige
Erkenntnis der Compressionsphänomene als solcher — und
die richtige Beurtheilung und Auffindung der Stelle am
Schädel, an welcher operativ einzugreifen und die drückende
Geschwulst zu entfernen ist.

Bezüglich des ersten Punktes kann nur eine reiche Erfahrung
am Krankenbett und eine kritische Analyse der
beobachteten Krankheitsphänomene zum Ziele führen.

Und was die Gehirnlocalisation am lebenden Menschen
betrifft, so bestehen wol minutiöse Angaben hierüber, aber
keine bestimmten Normen, nach welchen jene präcise und
mit der nöthigen Schnelligkeit geschehen könnte, so dass
der Operateur in kritischen Momenten meist darauf angewiesen
ist, einem gewissen Ungefähr zu folgen.

Diese Lücke auszufüllen soll die Aufgabe der vorliegenden
Tafeln sein.

Sie zeigen das Gehirn des erwachsenen Menschen in
seiner natürlichen Grösse und in seiner normalen Lage.

Man sieht es von vier Seiten:

Auf Taf. I von der Stirnseite (Frontalansicht).
» » II von der Schläfenseite (Temporalansicht).
» » III vom Hinterhaupt aus (Occipitalansicht bei

leicht nach vorn geneigtem Kopfj.
» »IV vom Scheitel her (Sagittalansicht).

Am besten Hesse sich eine scharfe Localisation der
Gehirnoberfläche am Schädel selbst erreichen, wenn über
dem Projectionsbilde des Gehirnes die naturgetreue Zeichnung
eines Schädels entworfen würde, der neben allen Einzelnheiten
der anatomischen Details noch die besondere Eigenschaft
besässe, durchsichtig zu sein. Man könnte dann die
gesuchten Stellen der Hirnoberfläche durch die entsprechenden
und wol charakterisirten Partien des Schädels hindurchschimmern
sehen.

Das Hesse sich erzielen, wenn man über dem zu pro-
jicirenden Gehirn eine dem Schädel bis in die Details absolut
genau nachgebildete Schale aus Glas stülpen würde.

Eine solche Schale herzustellen ist wol nicht möglich.
Und was nicht vorhanden ist, das kann ein guter Maler
natürlich auch nicht wiedergeben.

Indessen bedarf es der Wiedergabe des ganzen Schädelgehäuses
nicht, um an ihm ' die Gehirnoberfläche zu
localisiren.

Es genügt schon zu diesem Zweck bestimmte, a m
lebenden Menschen controlirbare fixe Linien der
Schädelkapsel auf dem projicirten Gehirn zu entwerfen, um
sich nach einem solchen Phantom mit grosser Schärfe am
Schädel des lebenden Menschen zu orientiren.

Diese Linien sind die Schädelnähte. Ich habe mich davon
überzeugt, dass man dieselben am lebenden Menschen
durch die Kopfhaut mit grosser Deutlichkeit hindurchfühlt.

Ueberträgt man sie daher auf das projicirte Gehirn —
und das geschah, indem auf das Gehirn, welches zur Abbildung
diente, der entsprechende Schädel gestülpt und dessen
Nähte mathematisch genau auf das Bildnis des Gehirns entworfen
wurden — so erhält man auf dessen Oberfläche sechs durch die
vier Suturen: Stirn-, Pfeil-, Hinterhaupt- und Schläfenbeinnaht
getheilte Felder. Innerhalb dieser Felder ist die Localisation
natürlich schon um das Sechsfache genauer, als ohne die
Nähte. Es lässt sich aber innerhalb der Schädelnähte noch
viel genauer, ja mit absoluter Sicherheit localisiren.

Bei der vollkommenen Naturtreue der Abbildungen und
der mathematisch genauen Wiedergabe seiner Dimensionen
nach allen Richtungen kann man für jede beliebige Stelle des
Schädels das entsprechende Stück Gehirnoberfläche am
Phantom leicht und schnell durch Mass und Zirkel auffinden.
Um diese Orientirung zu erleichtern, habe ich die Windungen,
die Furchen des Gehirns und die Schädelnähte mit verschiedenfarbigen
Buchstaben bezeichnet und auf einem besonderen
Blatt diese Buchstaben kurz erklärt. Ein Blick auf
die Abbildung des Gehirnes und die erklärende Tafel orientirt
demnach in wenigen Secunden über, wenn ich so sagen darf,
die cerebrale Bedeutung jedes beliebigen Schädelstückes.
Und so wird es möglich, mit Hilfe der Tafeln nicht nur
jede beliebige Partie der Gehirnoberfläche durch den Schädel
hindurch zu finden, sondern auch umgekehrt für jedes
Schädelstück das zugehörige Segment der Gehirnoberfläche
mit der grössten Genauigkeit zu bestimmen.

Ich will an dieser Stelle nicht des Weiteren auseinandersetzen
, welche Bedeutung für den Arzt, zumal den
Chirurgen, ein so schnelles Orientiren am Schädel haben
muss. Nur das möchte ich noch hinzufügen, dass jede Erweiterung
unserer Kenntnis vom Gehirn die Wissenschaft
bereichert und dass es nicht nur den Anatomen, den Physiologen
und den Arzt, sondern auch den Psychologen, wie
jeden Gebildeten interessiren muss, zu wissen, an welcher
Stelle seines Schädels sich die verschiedenen Seelenthätig-
keiten' abspielen, die, wie bekannt, in der Hirnrinde ihren
materiellen Sitz haben.

WIEN, Januar 1892.

DER VERFASSER.


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