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die äussere Uebung entsprechen, wenn eine gedeihliche
Wirksamkeit erzielt werden soll. —
Wir begeben uns im Geiste in ein Logenhaus:
Treppen, Vorzimmer, Mobiliar sind mit Staub bedeckt
oder sonst unrein; zu der für den Beginn der Arbeit
festgesetzten Zeit sind noch alle Bäume öde und vereinsamt
; nach und nach zeigen sich ein dienender Br,
der trägen Schrittes die Lichter entzündet, und einige
Besuchende, vielleicht von ihren Logen an Ordnung gewöhnt
und einer freundlichen Begrüssung oder der Prüfung
zum Einlasse harrend; einige Mitglieder der Loge
folgen, in grell-bunter Kleidung, in Gespräche über Geldinteressen
, kaufmännische Speculationen, städtische Angelegenheiten
oder politische Parteikämpfe verloren. Endlich
stürzt raschen Laufes und in Schweiss gebadet der
Meister herbei, um lange nach der bekannt gegebenen
Stunde und theilweise mit stellvertretenden Beamten die
Versammlung zu eröffnen. In der jetzt allgemeinen
Hast entsteht übereilte, unsichere Handhabung des Rituals
; der eine der Aufseher lässt die Sonne im W.
auf-, der andere sie im S. untergehen (Alles schon
wiederholt dagewesen!); während der Arbeit wird die
Buhe durch wiederholtes, geräuschvolles Eintreten verspäteter
Brüder, durch beständiges Hin- und Herlaufen
des Schaffners gestört; insbesondere thut sich ein vielgeschäftiger
dienender Br während der Aufnahme eines
Suchenden gerade in den feierlichsten Momenten oder
während eines Vortrags durch unausstehlich knarrende
Stiefel hervor; der Schluss naht heran, ohne dass für
Sinne und Geist Erhebung, Erquickung, „Erbauung"
stattgefunden, weil die dazu nothwendige Sammlung der
Hörer, der Sprechenden und Handelnden nicht vorhergegangen
, weil fast keiner derselben zu sich selbst
gekommen, weil die Loge nicht in That und Wahrheit
„gedeckt" gewesen.
Ob diese Andeutungen Ihnen übertrieben erscheinen,
m. Br? — Für eine grosse Anzahl deutscher Logen
mögen sie zu grell aufgetragen sein; man weiss oder
sucht denn doch hier zu Lande Anstand und Würde zu
wahren. Nicht immer so jenseits des atlantischen
Oceans. Dort muss jeder Br, der zu irgend einer Zeit
eintritt oder das Zimmer verlässt, nach Ausführung der
Lehrlingsschritte die drei ersten Beamten durch das
Zeichen begrüssen, und diese müssen jedesmal aufstehen
und erwidern, so dass die rituelle Handlung oder ein
Vortrag in der peinlichsten Weise zersplittert wird.
Habe ich doch ein deutsches Mitglied einer amerikanischen
Grossloge gekannt, das, arm an Geist, aber reich
an Würden, grundsätzlich jedesmal zu spät erschien,
um die Augen der Brr auf sich zu lenken und die
Ehrenbezeigungen, als da sind: Klopfen, Klatschen,
Stahlgewölbe u. s. w., huldreichst entgegenzunehmen.
Hat sich's doch dort — allerdings schon vor einigen
Jahrzehnten — ereignet, dass Bit ihre Hunde mit zur
Loge brachten und sich, im heissen Hochsommer, ihrer
Böcke in der Versammlung entledigten! —
Aber Eine grosse Untugend, bei all' seinem Anstandsgefühl
(da das Wort „Tugend" von „taugen" abgeleitet
ist, so könnte man anstatt „Untugend" wohl
auch sagen: „Mangel an Tauglichkeit") hat der Deutsche,
die des Mangels an Pünktlichkeit. Ob dieselbe einem
gewissen Phlegma oder nur übler Angewöhnung entstammt
, bleibe dahingestellt. Gewiss sind uns Allen
aus unserer Umgebung Männer bekannt, die, so lange
sie leben, zu irgend einem Geschäfte, zum Gottesdienste,
zur Abfahrt eines Eisenbahnzuges, zu einer Versammlung
zu spät kommen; Frauen, die, wenn es sich um
einen Ball, ein Concert, eine Theatervorstellung oder
einen Spaziergang handelt, mit Anzug und Putz niemals
zur rechten Zeit fertig werden; Handwerker, die niemals
den versprochenen Termin mit Ablieferung ihrer Fabrikate
oder mit Fertigung ihrer Reparaturen einhalten.
Unsere Erfahrung hat uns auch gelehrt, wie viel kostbare
Zeit auf diese Weise unnütz vergeudet, wie viele
Verlegenheit und Verwirrung veranlasst, wie viel Unfrieden
unter den Menschen erzeugt wird. — Der Engländer
und Amerikaner erscheint, mit seltenen Ausnahmen
zur festgesetzten Stunde, einfach deshalb, weil die Eröffnung
für diese Zeit festgesetzt ist, und weil er es für
rücksichtslos (ungentleman-like) hält, Andere, die gewissenhaft
auf ihre Pflicht achten, warten zu lassen. Und der
Vorsitzende eröffnet die Versammlung mit dem Glockenschlage
, weiler als solcher für Aufrechthaltung der nach
parlamentarischem Brauche gefügten gesellschaftlichen
Ordnung verantwortlich ist, unbekümmert darum, ob
Viele oder Wenige ihn umgeben!
Der Maurerbund hat sich einen Bau zur Aufgabe
gestellt, den geistigen Bau der Selbstvervollkommnung
und Menschenbeglückung. Steine des als Ideal uns
vorschwebenden Tempels sollen alle Glieder des Bundes
werden, und zwar lebendige Steine, mit Selbst-
bewusstsein und Verständniss lür das Beste der Gemeinschaft
strebend und handelnd. Wie die Gesundheit des
menschlichen Körpers, der Gang der Maschine von dem
richtigen Zusammenwirken aller einzelnen Organe, von
der normalen Mischung der festen und flüssigen Theile
u. s. w. abhängt, so kann auch der geistige Organismus
nur dann als ein seinem Zweck entsprechender betrachtet
werden, wenn die ihn zusammensetzenden Kräfte und
Stoffe einträchtig, umsichtig, mit Hingebung ineinander
greifen. Die maurerische Idee muss so lebendig in jedem
einzelnen Gliede der Kette geworden sein oder noch werden,
dass sie unwillkürlich oder vielmehr in Folge der inneren
Ueberzeugung mit Nothwendigkeit im Ganzen der Loge
zum Vorschein kommt; die Arbeit muss, wenn die Werkgenossen
kundig des Planes und Werkgeräthes sind, das
Bild der Gesetzmässigkeit, Regelmässigkeit, Ordnung
bieten, um durch diese Gewöhnung mächtigen Einfluss
zu üben auf das öffentliche, bürgerliche und häussliche
Leben, muss das harmonische Zusammenwirken des
Makrokosmos vergegenwärtigen und so hinwiederum die
Einzelnen über die Gewohnheit des Sich-Gehen-Lassens
erheben.
Fürchten wir nicht, m. Bit, dass wir durch genaue
Befolgung der uns gewordenen Kimstregeln in lächerliche
Pedanterie oder in Verlust der persönlichen Freiheit ge-
rathen! Unsere Formen tragen tiefe Bedeutung in sich
und wir vermögen sie leicht, wo es Noth thut, mit
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