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geistigem Gehalte zu füllen; und die persönliche Freiheit
besteht nicht in willkürlicher Missachtung jener
Schranken, sondern in der Erkenntniss der natürlichen
Vorgänge und der freiwilligen Unterordnung unter diese
Gesetze. Gar oft hat man, besonders von deutschen
Maurern, den Vergleich gehört: „Die Loge ist meine
Kirche". Wenn dieser Vergleich auch sehr bedeutend
hinkt, so ist er doch insoweit haltbar, als es festliche
Stunden, Augenblicke der Weihe, der inneren Sammlung
sein sollen, die der Maurer im Logenhause verbringt,
und als sein Aeusseres und sein Benehmen Zeugniss
davon geben sollen, dass ein ideelles Streben ihn über
den Staub und das Gemeine emporträgt. Der kleine,
ruhelose Mechanismus, der neben unserem Herzen und
mit ihm pocht, muss uns in seinen Rädern und Schwingungen
nicht nur als Symbol des Fluges der Zeit
dienen, sondern auch als Schlagen des Gewissens, als
Zeiger der Pflicht, als Triebfeder acht maurerischen
Thuns, als Sinnbild des nimmer rastenden, sich selbst
vollziehenden und vollendenden Lebens. Wohl uns, wenn
wir diesen werthvollen treuen Freund an und in uns
tragen und aufmerksam seinen Mahnungen lauschen!
Die Manifestation (Kundgebung) der Freimaurer
während der Herrschaft der Commune in Paris.
Zeichnung von Br Eugene Peschier
in der Loge „Constantia zur Zuversicht" in Constanz.
Die „Eevue des deux Mondes" veröffentlicht seit
zwei Jahren in kürzeren oder längeren Zwischenräumen
eine Reihe fesselnder Schilderungen des unseligen Aufstandes
der Pariser Commune im Frühjahr 1871. Diese
von Maxime du Camp verfassten Bilder beruhen auf unermüdlichem
Durchforschen aller Archive, auf gewissenhafter
und höchst zweckmässiger Benützung aller irgendwie
erreichbaren Dokumente und was denselben so hohen
Reiz verleiht und unwiderstehlich den Eindruck der
Wahrheit weckt, auf unmittelbarer Anschauung und mit
seltenem Muth gesuchten und bestandenen Erlebnissen.
Geradezu bewunderungswürdig aber ist die Unerschrocken-
heit, die souveräne geistige Freiheit, mit welcher Du
Camp die geheimsten Wunden aufdeckt, unbarmherzig
mit dem Bistouri darin wühlt und ohne Furcht vor der
persönlichen Rache der Entlarvten oder vor der Rancune
verletzter Nationaleitelkeit seinen Landsleuten bittere
Wahrheit sagt und so Schillers Spruch: „Die Weltgeschichte
ist das Weltgericht" in engem, aber scharfen
Rahmen illustrirt.
Wenn uns diese Schilderung noch an ein anderes
Wort des Dichters erinnert, das die Sturmglocke des
Aufruhrs den entsetzten Parisern und der ganzen Menschheit
in's Ohr dröhnte, dass der schrecklichste der Schrecken
der Mensch in seinem Wahn ist, so können wir das
geflügelte Wort auch auf die Episode anwenden, die wir
hier in kurzen Zügen dem ausführlichen Berichte der
französischen Revue nacherzählen. Wenn nicht in schrecklicher
, so doch in abschreckender Form, in einer für
alle ächten Bit demüthigenden Weise entrollt sich uns
das Bild einer Bewegung, die aus edlen Trieben entsprungen
, allmählich durch unseligen Einfluss heterogener,
unter heuchlerischer Maske versteckter Elemente zu einem
lächerlichen, abstossenden Mummenschanze sich gestaltete.
Mit der Commune, welche durch die Ermordung des
Generals Lecomte und des Clement Thomas alles Recht
mit Füssen getreten, war kein diplomatischer Verkehr
möglieh. Aber der humanen Initiative einzelner friedliebender
Bürger oder Vereine war der Weg zur Anbahnung
des Friedeus nicht verschlossen; doch alle Versuche
scheiterten, weil sie auf unannehmbaren Voraussetzungen
basirten. Der, welcher am meisten in die
Oeffentlichkeit trat und am entschiedensten zur Signatur
des Communeaufstandes selbst diente, war die sogenannte
„Kundgebung der Freimaurer".
Du Camp schreibt die Schuld der Verzerrung der
Commune zu; diese habe es versucht, einer beschränkten
Manifestation einen lügnerischen Charakter der Universalität
zu verleihen, die gesammte Maurerei zu compro-
mittiren und sie mit der Commune zu verknüpfen. Ich
schicke dies absichtlich voraus, weil ich die Ueber-
zeugung habe, dass Du Camp selbst kein Br ist und sein
Urtheil um so unbefangener erscheinen muss. Und nun
lasse ich einfach die kurz zusammengedrängten That-
sachen sprechen.
Am 11. April hatten sich einige Mr aus eigenem
Antrieb, nach Versailles begeben, um dort zu recognos-
ciren, ob sich etwa ein ernstlicher Versuch zur Versöhnung
machen lasse. Thiers nahm sie artig auf, lobte
ihre Bemühungen, bemerkte ihnen aber, dass er sie ganz
privatim empfange, weil sie kein in Ordnung abgefasstes
Mandat hätten. Die Logen, welchen die Brüder angehörten
und Bericht erstatteten, beriefen eine Versammlung
, um ein solches Mandat auszustellen; allein die der
Commune angehörenden Maurer interveniren und oktro-
yiren ein Mandat, welches die Delegirten leider nicht
ablehnen und das ausser einem Waffenstillstände zur
Räumung der beschossenen Dörfer energisch den
Frieden in Versailles zu verlangen gebietet auf
Grund des Programms der Commune, dem einzigen
, welches den endgültigen Frieden herbeiführen
könne. Mit der Annahme dieses Mandats hörten
die Delegirten auf, Vermittler des Friedens zu sein;
sie waren nur noch Parteigänger und Agenten der Commune
. Thiers erklärte ihnen höflich, aber kühl und bestimmt
, seine erste Pflicht sei, die Nationalversammlung
gegen die ganze Welt zu vertheidigen und dass er es
verstehen werde, und gekommen sei, ihr nachzukommen.
Statt sich diesmal ruhig zu bescheiden, verrannten
sich die Delegirten immer mehr auf dem eingeschlagenen
Wege und beriefen auf den 26. April eine Generalversammlung
aller in Paris anwesenden Maurer. Ueber der
eigentlichen Einberufung stand folgende Erklärung: „Angesichts
der Weigerung der Versailler Regierung, die
Gemeindefreiheiten von Paris anzunehmen, protestiren
die in einer Generalversammlung vereinigten Freimaurer
und erklären, dass sie, zur Erlangung dieser Freiheiten,
| von heute an alle in ihrer Macht befindlichen Mittel an-
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