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versteinen oder verfaulen, aber auch nicht ein
Spiel der Winde und Wellen werden."
Lassen Sie uns nun zuerst betrachten, was der
Verfasser mit diesem Ausspruche meint und dann zusehen
, in welcher Weise derselbe auf uns Anwendung
findet und seine Forderung an uns richtet.
Gerichtet ist diese Eede zuerst an alle die, welche
in ihrer Herzenshärte nur dem materiellen Erwerbe
nachjagen und in ihm das einzige Gut sehen, dessen
ein Mensch theilhaftig zu werden wünscht. Es sind
damit gemeint alle diejenigen, welche sich der geistigen
Thätigkeit und Regsamkeit verschliessen und in trägem
Stumpfsinn verharren und sich abschliessen gegen alle
höheren Ideen, vielleicht meinend, sie hätten schon das
Wahre und alles Uebrige sei nur eiteles Wesen und
thörichter Schein. Nicht der Reichthum, nicht das
äussere Ansehen, nicht Schlachtenruhm sind die Dinge,
welche ewigen Bestand haben. Sie kommen und verschwinden
, ohne auf die nachhaltige geistige Entwicke-
lung Einfluss zu üben. Nur das geistige Leben ist
das ewige. Gegen die Namen: Homer, Aeschylus,
Aristoteles, Dante, Luther, Lessing, Goethe und Schiller
gehalten, wie dürftig erscheinen Achilles, Agamemnon,
Alexander, CarlV! Jene behaupten ihren ewigen Ruhm
und ihre fortdauernde Wirksamkeit, während dieThaten
dieser in ihren Folgen für die Fortentwickelung der
Menschheit längst beseitigt sind. Es gilt daher, das
geistige Leben rege zu halten, es gilt, den Boden zu
lockern, damit der ausgestreute Saamen auf fruchtbares
Land falle. Im Ringen und Kämpfen soll die Menschheit
ihr Ziel gewinnen. Es ist daher Pflicht der Gegenwart
, diese Kämpfe, dieses Ringen zu unterstützen und
dahin zu wirken, dass jede Geisteskraft Anregung, Steigerung
und den Spielraum gewinne, dessen sie zu ihrer
Fortentwickelung bedarf.
Aber auch nicht verfaulen soll die menschliche
Gesellschaft, sie soll nicht untergehen in Schlemmerei
und Genusssucht! Wie so leicht gerathen diejenigen,
welche für die geistigen Interessen todt sind, denen
materielle Mittel und Wege zu Gebote stehen, um, wie
sie sich ausdrücken, das Leben zu geniessen, auf Abwege
und zu der Meinung, dass in diesen Sinnengenüssen
das höchste Ziel menschlichen Daseins bestehe
. Wie schlaff und entnervt und jeder Erhebung
unfähig erscheinen solche Menschen! Sie gleichen dem
Sumpfboden, dessen üppige Vegetation den unter ihm
ruhenden Moder verdeckt. Wehe denen, die sich auf
solchen Boden wagen, ihr Verderben ist sicher und unaufhaltsam
. Wie es dort galt, den steinigen Boden zu
lockern, so gilt es hier, diesem schwammigen Boden
eine feste, sichere Unterlage zu geben und denselben
somit der wahren Kultur — dem Geistesleben — zu
gewinnen.
Nicht ein Spiel der Winde und AVellen soll die
menschliche Gesellschaft werden. Was ist damit gemeint
, nachdem wir wissen, dass dieselbe weder in Abgeschlossenheit
sich vergraben und in Stumpfheit verhärten
, noch in Genussucht und Schlemmerei ihr Heil
suchen soll? Sie soll und muss vom geistigen Leben
nicht nur berührt, sondern sogar aufgerichtet werden.
Also würde sie doch von Wellen und Winden hin und
her geworfen?
Meine Brüder! Wohl werfen Wind und Wellen
das Schiff umher, aber trotz der tosenden Elemente,
trotz der Unsicherheit des Pfades lenkt der umsichtige
und vorsichtige Steuermann das Schiff seinem Ziele entgegen
. Da gilt es aber mit Ernst und Strenge, mit
Aufopferung seiner Kräfte diesem Ziele zuzustreben. Es
gilt, die Gelegenheit richtig zu erfassen und zu benutzen
, das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Ab-
gethan muss alle Lässigkeit sein, welche die Kraft
raubt, fortzuschreiten; Strenge muss geübt werden, nicht
nur gegen Andere, sondern gegen sich selbst, weggeworfen
jeder Indifferentismus, der uns in unsern Ansichten
und Meinungen schwankend macht. Wie dem
Schiffer die Sterne die sicheren Leiter seiner Bahn, so
der menschlichen Gesellschaft der Glaube an Gott. Es
ist der ewige, unverrückbare Pol, wie auch die Erscheinungen
im Menschenleben sich darstellen mögen. Weder
die Bigotterie noch der Indifferentismus, nicht der
geistersehende Spiritualismus, nicht der krasse Materialismus
müssen den Einfluss gewinnen, um das Menschengeschlecht
von seiner Bahn zum Fortschritte und
zur Entwicklung abzulenken. Der Glaube an Gott,
das ist der feste Punkt, um den sich alles drehen, auf
den sich alles beziehen muss.
Haben wir so uns deutlich gemacht, wohin die
Meinung jenes Ausspruches zielt, so müssen wir natürlich
fragen, auf welche Weise dieser Ausspruch Anwendung
auf uns findet.
Die Frage erscheint um so gerechtfertigter, als
jener ernste Zuruf keine Gebote, sondern nur Verbote
enthält, nichts Positives gibt, sondern nur in Negationen
spricht. In den Negationen aber — Du sollst nicht
versteinen, nicht versumpfen, nicht Spiel der Winde
und Wellen sein — obgleich an die Menschheit im Allgemeinen
gerichtet, finden wir doch auch die Aufforderung
für uns enthalten, wie wir sein, wie wir handeln
sollen. Wir sollen nicht in Herzenshärte und
stolzer Abgeschlossenheit verharren, nicht in Stumpfheit
und Trägheit verfallen, uns nicht von der Genusssucht
verlocken lassen, oder wie ein steuerloses Schiff hin
und her irrlichteriren. Unser, das heisst, jedes Menschen
Beruf ist, geistig thätig zu sein, die ideellen
Güter des Lebens höher zu achten, als die materiellen,
Gott nie aus den Augen zu verlieren. Hier liegt unsere
Aufgabe, hier unser Arbeitsfeld. Jeder Einzelne soll
sich bestreben, besser zu werden, ablegen alles, was ihn
hindert fortzuschreiten; jeder Einzelne soll in sich zu
einem geistigen Leben erwachen, dessen innerster Kern
erleuchtet und durchleuchtet wird von der Idee Gottes.
Jeder Einzelne hat den unabweisbaren Beruf, sich für
jede geistige Anregung empfänglich zu machen und sich
anzustrengen durch Selbstbeherrschung zu der Stufe zu
erheben, die ihn befähigt, geistig thätig zu sein. Nur
wer selbst geistig erweckt ist, kann auf seine Mitmenschen
förderlich und nützlich einwirken. Nur wer sich
selbst beherrscht, kann andere in dieser Tugend unter-
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