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losigkeit, seine Anspruchslosigkeit. Wer in seine Behausung
eintrat, musste unwillkürlich auf den Gedanken
kommen, er befinde sich bei einem ganz armen Manne,
trotzdem er an irdischen Gütern reich gesegnet war.
Und wer ihn zum erstenmale sprach, dem musste sein
Wägen der Worte befremdlich erscheinen; wer aber
das Glück hatte, ihn näher und besonders als Br zu
kennen, der hing mit wahrer Verehrung an dem bescheidenen
und doch so gelehrten, an dem liebenswürdigen
und doch so anspruchslosen Manne. Wohl hat auch eiserne
Schattenseiten gehabt; aber seine Lichtseiten
Hessen jene kaum in Sicht kommen. So sei ihm heute
auch unsererseits Dank, warmer Dank dargebracht und
das Gelöbniss dazu, dass wir immerdar sein Gedächt-
niss im Segen bewahren wollen.
Das, m. Br, ist in aller Kürze das Lebensbild eines
Binders, der jahrelang zum Segen seiner eigenen Werkstätte
und der Gesammtmaurerei gewirkt hat. Und —
so fuhr Br Glökler fort — damit er heute als Redner
in unseren Kreis eintrete, mögen sie eine Zeichnung des
Brs v. Plieninger vernehmen, die derselbe am Trauerfeste
der Loge „zu. den drei Cedern" im Orient Stuttgart
am 23. December 1848 vorgetragen hat.
Nachdem diese in der „Asträa" vom Jahr 1865
enthaltene Zeichnung verlesen war, weihten wir dem
Dahingeschiedenen noch einen Applaus und damit auch
unsere Verehrung, Dankbarkeit und Liebe.
Dies aber ist auch der Theil unseres Trauerfestes,
den wir in diesen Blättern glaubten veröffentlichen zu
dürfen.
Zur Judcnf'rage.
Von Br Carlos v. Gagern.
Mitglied der Loge „Schiller", Orient Pressburg.
(Schluss.)
Die den Juden während früherer Jahrhunderte
auferlegte Ausschliessung aus den christlichen Staatsverbänden
ist die Hauptursache, welche sie zu der Ausschliessung
geführt hat, die Manche von ihnen, selbst
nachdem die die Ghettos absperrenden Balken gefallen
sind, auch heute noch nicht aufgeben. Wir haben die
Juden emancipirt; es ist aber schwer von ihnen zu verlangen
, dass sie in der verhältnissmässig kurzen Frist,
die seitdem verstrichen, sich vollständig von ihren
eigenen Religions- und Stammeseigenthümlichkeiten emancipirt
haben sollen. De aquälos polvos vierten estos lodos
— sagt ein spanisches Sprichwort — von jenem Staube
kommt dieser Koth. Viele der uns an den Juden unliebsamen
Eigenschaften sind unsre Verschuldung, eine
Folge des ihnen einst von uns auferlegten Joches. Ein
schneller Uebergang von der Sclaverei zur Freiheit
bringt in der Kegel derartige Erscheinungen hervor, und
nur ein längerer Gebrauch der letzteren, ein Sichhinein-
gewöhnen in dieselbe lässt sie allmälig verschwinden.
Die Furcht, dass auf die von Treitschke wohl etwas
.zu hoch gegriffenen Jahrtausende (!) germanischer
Gesittung ein Zeitalter deutschjüdischer Mischcultur
folgen werde, ist lächerlich. Hätte sie die geringste Begründung
, so läge darin ein trauriges Armuthszeugniss
für die nicht-semitischen Deutschen, welche 43 Millionen
stark, sich nicht der Beeinflussung von einer halben
Million Israeliten zu erwehren vermöchten!
Wenn die laute Agitation des Augenblicks nur als
eine zwar brutale und gehässige, aber natürliche Reaction
des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element
, das im deutschen Leben einen allzu breiten Raum
einnehme, angesehen wird, so müssen wir diese Behauptung
als vom freimaurerischen Standpunkte aus
durchaus unzulässig erklären. Selbst abgesehen von der
Frage des Reinmenschlichen, ist auch, in lediglich nationaler
Auffassung, der in Deutschland geborene Jude
als Deutscher zu betrachten und je mehr wir dieses
thun, desto mehr wird er sich als Jude fühlen. Man
sagt den strenggläubigen Katholiken nach, dass sie sich
zuerst als Kinder der Mutterkirche und nur in zweiter
Linie als Kinder des Vaterlandes betrachten. Möglich,
dass etwas Aehnliches heutzutage noch bei manchen
Juden der Fall ist. Da sollten wir Frmr aber eifrigst
dahin wirken, dass dieser innere Antagonismus, wodurch
nothwendig ein Conflikt der Pflichten bei ihnen erzeugt
wird, nach und nach aufhöre. Durch die Anti-Semiten-
Bewegung wird er aber nur verstärkt. Anstatt jenen
Mitbürgern, ihrer Religion und ihrer Race wegen mit
schroffer Abweisung entgegen zu treten, sollten wir sie
zu uns heranzuziehen suchen. Wie man in den Wald
^üneinschreit, so hallt es aus ihm heraus. Wenn Treitschke
sich zu dem jedenfalls übertriebenen Ausspruch versteigt
: „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf,
die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder
nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen
würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: Die
Juden sind unser Unglück!" — dürfen wir da uns
wundern, wenn die Mitglieder also geschmähter Gemeinschaft
sich wieder enger aneinander- und schärfer von
der christlichen Gesellschaft abschliessen ?
Zugegeben, dass von jeher eine Kluft zwischen
abendländischem und semitischem Wesen bestanden hat,
ist daraus die trostlose Folgerung zu ziehen, dass die
Aufgabe einer Verschmelzung beider niemals gelöst
werden könne?
Das Messe den Fortschritt leugnen. Das Messe
unseren Bestrebungen eine absolute Unfruchtbarkeit zuschreiben
. Und doch können wir in dieser Beziehung
mit Stolz auf namhafte Resultate unseres Wirkens hinweisen
. In der Mehrzahl unserer Logen sitzen und
arbeiten Nicht-Juden und Juden einträchtiglich neben
und mit einander. Warum sollte ein Gleiches nicht im
profanen Leben möglich sein?
Gewiss sollen auch die Juden tolerant werden und
die ihnen gegenüber einst begangene Unbill, weil sie
endlich durch Verleihung gleicher Menschen- und Bürgerrechte
gesühnt wurde, vergessen lernen. Dann darf
man ihnen aber auch keine neue zufügen. Auch wir
wollen auf deutschem Boden keine Doppel-Nationalität,
suchen wir doch die nationalen und religiösen ScM-anken
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