Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 92
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nach Deutschland zogen, um ihr Bekehrungswerk zu |
pflegen, begannen, sobald sie festen Fuss gefasst hatten,
Landwirthschaft zu betreiben und sich Klöster und
Kirchen zu errichten. Benedictiner und Cistercienser
haben darin das Meiste geleistet; sie waren die Leiter
der Bauunternehmungen, während die Laienbrüder die
gröberen Dienste verrichten mussten. Mit der Ausbildung
des deutschen Städte- und Bürgerlebens sprengten die
Laienbrüder ihre Fesseln, traten aus den Klöstern hervor
, bildeten selbstständige Vereine, bei denen die alte
Verbrüderung und die Verfassung bürgerlicher und
politischer Gemeinschaften als Muster dienten; die alten
Cultusformen, Zunftsagen, die Geschichte und Regeln
der Baukunst pflanzten sich in die neugeborne Brüderschaft
fort. Da begegnen wir ja ganz natürlich wieder
unseren zwei Säulen.

Wie alle im 7. bis 9. Jahrhundert errichteten Abteien
und Klöster Blockhäuser gewesen, auf steinernen
Unterbau aufgesetzte Hütten, so war der im Jahr 862
unter Bischof Arno in Würzburg gebaute Dom aus Holz -
nachdem er 922 abgebrannt war, wurde er im Jahre
darauf abermals aus Holz, dann aber 1042 durch die
Steinmetzverbrüderung aus Steinen aufgeführt. In seinem
rechten Seitenschiffe stehen vor einer Nische frei die
zwei egyptiseh-phönicischen Säulen, in merkwürdiger
Weise aus verschiedenen Stäben, Windungen und Binden
zusammengesetzt und von Erklärern mannichfach gedeutet
. Eher noch, als der Dom, war in Würzburg von
dem ersten Bischof (746) der Salvator-Münster erbaut
und dem heiligen Burkhard geweiht worden; bei einem
Erdbeben ward er (854), dem Schutzheiligen zum Trutz,
durch einen Blitzstrahl eingeäschert; im Jahre 1000
durch Bischof Heinrich I. wieder neu errichtet (Neumünster
) und den beiden Johannes geweiht; an der
Aussenseite seines Chors sind zwei aus der Mauer hervortretende
Säulen angebracht, welche grosse Aehnlich*
keit mit denen im Dome haben, jedoch den Sims trägem
Der herrliche Bamberger Dom ist zwischen 1004 und
1012 aufgeführt; als er 1081 abbrannte, blieben von
ihm nur ein Theil der Säulen übrig; im Chore stehen
unter den byzantinischen Säulen, die einen Halbkreis
bilden, die beiden sogenannten „Brüdersäulen", von
grosser Aehnlichkeit mit denen in Würzburg, aus seltsam
verschlungenen und verknoteten Stäben zusammengefügt
; vier andere ragen dort bis zum Anfang der
Wölbung empor, ohne irgend etwas zu tragen; im nördlichen
Seitenschiff stehen abermals zwei einfache Säulen,
nur 9 Fuss hoch, auf denen anscheinend der Wancl-
pfeiler neben dem Hauptportale ruht. Im Dome zu
Merseburg aber findet sich ein genaues Ebenbild von
einer der Würzburger Säulen.

So nehmen die Säulen dieselbe Stellung und Bedeutung
ein in den Tempeln des Herakles oder Melkart
bei den Tyrern, des Jahve bei den Hebräern, des Thor
bei den Skandinaviern, wie' in den Kirchen der Christen.

In den germanischen Stämmen vor allen hat die
Erinnerung an die alte Zeichensprache und Zunftlehre
sich wach erhalten. Als diejenigen, welche nicht Werkleute
waren, als Gelehrte und Kunstfreunde in die Genossenschaft
der Werkmaurer und Steinmetzen angenommen
wurden, da haben sie jene Ueberlteferungen und
Gebräuche sich angeeignet. Die Säulen aus Tyrus
blieben als altehrwürdige und leicht verständliche Begriffe
von Loth und Wage, als Ausdruck der Ruhe und
Bewegung. Dass man, die ursprünglich kosmische und
ethnologische Bedeutung verkennend und beschränkend,
an den Salomonischen Tempel anknüpfte, der im Vergleiche
zu anderen Bauwerken des Alterthums und als
Gotteshaus bei Weitem nicht die hohe Bedeutung hat,
die ihm von manchen Seiten beigelegt werden will,
blieb jener Zeit vorbehalten, als nach dem verheerenden
Brande, der 1660 einen grossen Theil Londons in Asche
gelegt, durch den Bau- und Grossmeister Christopher
Wren die St. Paul's - Kathedrale wieder aufgerichtet
ward, wie jener jüdische Tempel ebenfalls wiederholte
Erneuerung erfahren hatte. (Lessing's Ernst und Falk,
erläutert von Merzdorf, S. 67 f.) Wir schreiten als
denkende Mr über die Tage Salomo's hinaus in ältere,
entferntere Regionen. Der englische Mrbund hat abermals
die Säulen über den Kanal in die Staaten des
europäischen Festlands, über das Meer in die Colonien
des Westens getragen und stellt sie noch heute von
Neuem auf, wo immer Gesittung und Bildungsdrang
Männer von gutem Rufe zu gemeinsamem Streben vereinigt
. Vor dem kostbaren und kostspieligen, vor einigen
Jahren am Johannisfeste der Brüderschaft zum Gebrauch
übergebenen „Tempel" der Mr New-York's stehen sie
am Eingangsportale und geben Zeugniss von dem idealen
Zusammenhange, der zwischen dem Bunde und jenen
alten Culturvölkern des Orients besteht.

Wie die Nordmänner der Weisung der Säulen durch
die Wogen folgten und dort sich niederliessen, wo sie
an's Ufer gespült wurden, so hat auch vor 91 Jahren
das Wogen der Gewässer zwei Säulen an's Land getragen
, und zwölf Brüder haben, der Weisung vertrauend
, eine Stätte sich bereitet, in der sie Zuflucht
und Rettung fanden vor der schwankenden See der
Lehre und vor allerlei Wind der Meinung. Dess sind
wir heute fröhlich, und liebe Gäste freuen sich mit uns
des wohl gelungenen Werkes. Wie die Feier des Johannistages
es uns lebhaft vor die Seele führt, dass wir
als Mitglieder einer Loge nicht nur einem Grosslogen-
verbande, sondern vielmehr dem weiteren Bunde der
Logen Deutschlands, ja dem über die ganze Erde hin
sich erstreckenden Mrbund angehören, so tritt am
Stiftungsfeste der einzelnen Loge geWissermassen diese
selbst vor die ihr Zugehörenden hin, lässt sie ihr Gelübde
der Treue und Anhänglichkeit erneuern und ruft
bedeutungsvoll ihnen zu, dass auch das Leben im engeren
Bruderkreise dem Sterblichen nichts giebt ohne
Arbeit.

Welche Fülle und Wucht der Ereignisse ist seit
1789 an unserer Bauhütte vorübergezogen! Dort die
grosse Umwälzung im Nachbarvolke mit ihren schrecklichen
, aber auch segensreichen Folgen, der Aufschwung
des gewaltigen Corsen und sein Siegeszug durch die
Lande Europas; hier die Vernichtung des deutschen
Kaiserthums, die Einverleibung der alten Reichsstadt in


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