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zu können, dass man anch dieser Vereinigung von
wunderbar guten wohlthätigen Menschen angehöre und
also wohl selbst nicht ganz gewöhnlichen Schlages sein
könne.
Wie anders dagegen der Freimaurer nach dem
Herzen Lessings, der nicht einmal zu sagen wagt: ich bin ein
Freimaurer, sondern ich hoffe und glaube einer zu sein,
und der sagt, die Thaten der Frmrei sind im Verborgenen
und sollen nie gekannt sein.
Wenn die Gründer unseres Bundes dem Zuge des
Geistes ihrer Zeit folgend ein symbolisches Rituale feststellten
, welches wir theils aus Pietät, theils aus Rücksichten
der Uniformität aufrecht erhalten und uns gleich
ihnen bemühen sollen, demselben Geist einzuhauchen
und dessen Anwendung auf das nothwendigste Maass
zu beschränken, so ist es gewiss nicht zu entschuldigen,
wenn in vielen unserer Bauhütten, ich nenne abermals
beispielsweise die englischen, wenn auch gewiss die Beispiele
in nächster Umgebung nicht fehlen würden, das
Rituale zu einem geistlosen knöchernen Formalismus
herab sinkt, der bald in ein kindisches Ritterspiel und
bei den Aufnahmen in ein Weiden an der gruseligen
Furcht der Aspiranten ausartet.
Wenn endlich die Verfassung der Loge, wie sie
ursprünglich gedacht war, die reinste Demokratie darstellen
sollte, in der die Beamten und der Vorsteher
nur prirnus inter pares, die Ersten unter den Gleichen
und die Ausführungsorgane des allgemeinen Willens
sein dürften, so ist vielfach das Logenthum zu einer
wahren Beamtenoligarchie entartet, in welcher die gesellschaftlichen
Geschicke von einer Cotterie nach Willkühr
gelenkt werden und in welcher schon zu Fesslers
Zeiten und ich fürchte mancher Orten auch noch heute,
persönliche Eitelkeit und kleinliche Intrigue ihren Tummelplatz
finden.
All diese Uebelstände, die ich soeben mehr im Allgemeinen
gekennzeichnet und geschildert habe, mögen
wohl so bedeutenden Männern, wie die Gebrüder Humbold
waren, die Ueberzeugung beigebracht haben, dass
es eine Zersplitterung und Vergeudung ihrer Kraft wäre,
an der Verbesserung solcher Uebelstände mitzuwirken,
da ihre reichen Fälligkeiten sie in die Lage versetzten,
auch ausser Reih und Glied allein und selbstständig
maurerisch zu wirken.
Doch wir, gel. Brr, denen die gleiche Berechtigung
und Befähigung nicht zu Gebote steht, haben wir nicht
dadurch, dass wir unsere Loge „Humboldt" genannt
haben und unter dieses Pannier uns einreihten, eine
Verpflichtung auf uns genommen? haben wir, da jwir
als Patrone unserer Loge Maurer ohneSchurtz wählten,
die sich von dem mehr minder unzulänglichen Treiben
der Logen-Brüderschaft ihrer Zeit vornehm fernhielten,
nicht den Vorsatz ausgesprochen, dem Idealen nachzustreben
und uns von allen gekennzeichneten Fehlern
und kurzsichtig materiellen Opportunitätsstandpunkten
fern zu halten?
Stätten der practischen Opportunität, Wohlthätig-
keitsanstalten, Casinos und sonstige Geselligkeitsvereine,
gegenseitige Lebens- und Unfallversicherungen giebt es
ja zu Häuf und diese mit irgend einer zu vermehren
oder gar mit einem unvollkommenen Mixtum Compositum
von alledem, kann wohl nicht unsere Aufgabe sein. Aber
unsere Loge heranzubilden zu einer Stätte des idealen
Wirkens, einer hehren Schule kosmopolitischer Menschen-
liebe und sociologischen Strebens, zu einer Pflanzstätte
der Aufklärung und Schönlebekunst: ist ein Ziel, das-
allein uns würdig machen kann — des grossen Namens
der Dioskuren, die wir kühn als Standarte gewählt.
Und nun, gel. Brr, wenn Sie auf das erste Decen-
nium unserer Wirksamkeit zurückblicken, und ehrlich
mit sich zu Rathe gehen, können wir uns das Zeugniss
geben, dass wir dieser Aufgabe gerecht worden sind?
Ich will die Beantwortung dieser Frage Ihnen selbst,
dem Gewissen und dem Nachdenken jedes Einzelnen
überlassen und nur den Wunsch aussprechen, dass wir
alle Mitglieder dieser ger. und vollk. Loge Humboldt
und andere verehrte Gäste, heute über ein Jahrzehnt
an gleicher Stätte uns wieder zusammen finden mögen
und dass alsdann der Rückblick auf das 2. Decennium
ein in meinem Sinne erfreulicherer sei und dem Ideale
mehr entspreche, welches für mich in dem Namen unserer
Bauhütte liegt.
Möchten wir in dem nächsten Decennium unserer
Wirksamkeit uns diesem Ziele in erfreulicher Weise
nahem!
Die momentan gestörte Fortentwickelung
der Mrei wird desto schöner einst unfehlbar sich
vollziehn.
Zur Geburtstagsfeier Sr. Majestät des deutschen Kaisers
Wilhelm am 20. März 1880 in der Loge Amalia zu
Weimar vorgetragen.
Von
Br Putsche.
M. Brr! Hätte auch nicht das eben verklungene
Lied*) unserer heutigen Gemüthsstimmung Ausdruck
und Sprache verliehen, schon der aussergewöhnliche
Arbeitstag würde es andeuten, dass die heutige Lehrlingsloge
eine aussergewöhnliche Bedeutung für uns
hat. Denn wir verbinden ja mit ihr die Geburtstagsfeier
unseres allerdurchlauchtigsten Brs, des deutschen
Kaiser Wilhelm, welchem heute als dem Wiederbegründer
von Deutschlands Einheit, Macht und Grösse tausend
und abertausend Herzen freudig und dankbar glückwünschend
entgegenschlagen.
Zu der allgemeinen Freude und Dankbarkeit aller
wahren Patrioten aber gesellt sich für uns Frmr noch
eine besondere. Denn wir verehren ja in unserem
Kaiser nicht blos das Oberhaupt des durch ihn wieder
vereinigten deutschen Reiches, sondern auch den um die
Einigung und Fortentwickelung der deutschen Frmrei
so hochverdienten Br. Welch hohe Verdienste derselbe
auch durch Anbahnung und Förderung grösserer frmr
*) Das für die kaiserliche Geburtstagsfeier von Br Putsche
umgearbeitete, von Kühmstedt componirte Lied: Vater, dem der
Engel Chöre singen.
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