Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 130
(PDF, 136 MB)
Bibliographische Information
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/bauhuette1880/0137
130

Naquet, Loyson, Didon, Jacolliot, Vidieu und einiger
anderen.

Jetzt ist auch Alexander Dumas fils in das Vordertreffen
getreten und sein neuestes Buch, ein Band vm
über vierhundert Seiten, ist es, das ieh der ganz besonderen
Aufmerksamkeit der deutsche» Leser empfehlen
möchte. Es ist ein Fehdebrief, den nicht der Theater-
Schriftsteller, sondern der freie Bürger, der unabhängige
Denker, der Gatt© und Vater an jene Religionsgesellschaft
richtet, die als alleinseligmachende römisch-katholische
mit ihrem unfehlbaren Oberhaupte und ihrer Legion
ultramontaner Hilfstruppen, mit und ohne Uniform, den
modernen Staat und die bürgerliche Familie in der
Dienstbarkeit des Clericalismus erhalten will. Seit den
Zeiten Voltaires ist in Frankreich wohl keine so stolze,
form- und sachgewandte Herausforderung des ultramontanen
Geistes mehr geleistet worden, wie sie diesmal
ans der berühmten Feder des gefeiertsten Schriftstellers
der Nation vorliegt.

Nichts begreiflicher daher, als das Aufsehen, das
dieses Buch in den weitesten Kreisen macht, obwohl
sein Titel „La question du divorce" auf den ersten Blick
weder den vollen Inhalt, noch die Tragweite der Behandlung
dieser Streitfrage, die in fast sämmtlichen civi-
lisirten Ländern eben keine Streitfrage mehr ist, kaum
vermuthen lässt.

Dumas tritt in voller, strahlender Waffenrüstung in
den Culturkampf ein und stellt die Autorität seines
Namens, das ist seines Geistes und Empfindens, seiner
männlichen Ueberzeugungen und Ideale in den Dienst
des kirchlich emancipirten, im besten Siune modernen
Gedankens. In seinem genialen Kampfesmuthe rückt
er nicht einem einzelnen Auswüchse des ultramontanen
Kirehenwesens, sondern dem Clericalismus in der Totalität
seiner historischen Erscheinung Phase um Phase
auf den Leib. Er macht das Gambetta'sche Wort „Le
cUricalisme, voila. Cennemi!" zu seinem eigenen, wohlerwogenen
Bekenntniss, zur Losung im grossen Kampfe
der Zeit, ohne durch irgend welche antireligiöse Ruhmredigkeit
wahrhaft fromme Gemüther zu kränken.

Dieser weite, wissenschaftlich klare Gesichtspunkt
unterscheidet auch die vorliegende Publikation von den
früheren polemischen Anläufen, die der nämliche Autor
gegen specielle Erscheinungen des Gesellschafts- und
Ehelebens seines Volkes gerichtet hat und die von dem
Auslande nicht selten als paradoxale reformatorische
Marotten eines geistreichen Dramatikers ä Sensation belächelt
worden sind. In der unzutreffenden Erkenntniss
seines Wesens, von dem man nur die rein theatralische
Seite gelten lassen wollte, wehrte man sich dagegen,
den Dichter der Cameliendame als social - politischen
Schriftsteller ernst zu nehmen.

Noch im vorigen Jahre konnte zum Beispiel der
Professor J. J. Honegger in der Lindau'schen Zeitschrift
„Nord und Süd" eine umständliche Schilderung des gefeierten
Meisters der französischen Literatur mit den
Sätzen einleiten:

„Der Dichter der Camiliendame! Das ist die förmlich
typische Bezeichnung, mit welcher wir den jüngeren

Alexander Dumas einführen dürfen. Sobald wir sie
brauchen, ist nicht blos das französische, ist das europäische
Lesepublikum im weitesten Sinne orientirt, und
es macht sich auch sofort ein Bild von dem geistigen
Wesen des Verfassers, wie von der Zeit und dem Geschlechte
, das er zeichnet."

Eh bien, dieses Bild ist heute ein absolut unvollständiges
, und wer sich mit ihm zufrieden giebt, der
kennt weder Dumas noch Frankreich in genügender
Weise.

„La question du divorce" ist in Form eines Briefes
an den Abbe Vidieu, der hohen Theologie Doctor und
mehrerer gelehrter Vereine Mitglied, abgefasst. Derselbe
hat mit dem Rüstzeuge der canonischen Wissenschaft
ein Büchlein über Familie und Ehescheidung angefertigt,
das dem Monsieur Dumas all' die Argumente zu enthalten
schien, an deren Hand der Waffengang wider
die clericalen Prätentionen sich am sichersten und vollständigsten
durchführen Hess. Schritt für Schritt folgt
Dumas dem Streiter der Kirche durch das alte und
neue Testament, durch die Schriften der Kirchenväter,
die Beschlüsse der Concilien u. s. w., um mit den Gründen
der Wissenschaft und der Vernunft, mit den Principien
der Moral und der Philosophie, mit den Ergebnissen
der Physiologie und Sociologie die clericalen Behauptungen
in ihrer Unstichaltigkeit ins Licht zu rücken und
in ihren anmaasslichen Beorderungen aus dem Felde zu
schlagen. Die Briefform gestattet die geistvollsten Dis-
gressionen, aus denen die brillante Feder Dumas' selbstverständlich
den besten Nutzen zieht, und sichert durch
die persönlichen Wendungen des Tones vor trockenein
Beharren in abstract gelehrten Theorien.

Dem hohen Moralitätsideal der reinen Kirche lässt
Duraas volle Gerechtigkeit widerfahren und sagt es
seinem ^Adressaten wiederholt deutlich genug, dass er
nur um dieses Ideals willen die geistliche Mission als
eine erhabene, heilige und achtungswerthe zur erkennen
vermöge. „Hätten Sie nicht dieses hohe Ideal, kein
Mensch würde sich die Mühe und Ihnen die Ehre geben,
mit Ihnen zu discutiren." (S. 335.)

Ueber die Feehtweise der Kirchenleute macht er
die Bemerkung: „Sie, mein Herr Abbe, wie alle Vertreter
Ihres Cultus, beobachten ein sehr einfaches Verfahren
, so oft Sie uns gütigst glauben machen wollen,
dass Sie discutiren: so lange sich die Ereignisse im
Sinne Ihres Glaubens, Ihrer Dogmen und Ihrer Interessen
vollziehen, stammen sie von Gott, vollziehen sie sich im
entgegengesetzten Sinne, sind es Werke des Teufels-,
wer wie Sie denkt, ist in der Wahrheit, wer anders
denkt, im Irrthum." (S. 175.) Das Tafeltuch mit der
Kirche entzweischneidend, ruft er aus: „Ich habe persönlich
von der Kirche weder etwas zu fürchten, noch
etwas zu hoffen; ihre Versprechungen locken mich nicht,
ihre Drohungen schrecken mich nicht. . . . Ihre Missbräuche
haben mich jeder Verpflichtung entledigt. . . .
Ich habe keinen Führer nöthig, um die Quellen zu finden,
die vom Sinai und von Golgatha herabfliessen..(S. 401.)

Zu den glänzendsten Partien des umfangreichen
Buches gehören die dramatisch bewegten Schilderungen


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