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Verurtheilten als unedel und selbst nur sein Schauspiel
als unästhetisch, denn unsere Sitten sind sanft und milde
und die Rohheit vergangener Zeiten liegt, Gott sei
Dank, hinter uns, — zwar, wir wollen es zugestehen,
enthält neben diesem zu Verwerfenden, jeder Grad in
seinen Maximen und Ceremoniell etwas Hehres und das
Herz Eührendes, was seine tiefsten Saiten anschlägt,
aber dies Alles ist uns nichts Neues und braucht das
wahre Glück und die innere Zufriedenheit dann einen
so grossen Pomp, sie, die wir doch gerade, gestützt
auf wahre Eeligion und Einfachheit, ausüben? —
Analisiren wir nun, um gerecht zu sein, das Gute,
welches wir in diesen Graden finden, so können wir die
Symbole also deuten:
Im 4. und 5. Grade bedeutet Hiram das gute Prin-
cip der Tugend und seine drei Mörder das böse Princip .
der Lüge, des Mordes und der Falschheit, das Sanctu- '
arium des Tempels ist das Gewissen, welches allein"
Gottes Grösse und Allmacht fassen kann und das Ge-.
länder die Vernunft, welche dasselbe vor dem verderb-1
liehen Eindrucke der Vorurtheile schützt. Der Schlüssel
ist das Symbol der Intelligenz und des Schutzes,
die das Gewissen erleuchtet und ihm die Wahrheit!
bringt, diese aber dann, wenn sie einmal als unumstöss-
lieh erkannt worden ist, als ein Heiligthum vor allen
rohen Augen verschliesst, oder doch täglich zur Arbeit
und Wachsamkeit, sich weiter zu entfalten, anspornt.
Hirams Grab ist die Grenze zwischen der geistigen
und physischen Welt, der Mittelpunkt, von dem aus
wir unsere Arbeit beginnen und zur Ruhe wieder zurückkehren
, während der äussere Raum vor dem Tempel
die Menschheit im Allgemeinen bedeutet, die sich
nicht um höhere Dinge kümmert, sondern im täglichen
Einerlei dahin lebt, der innere dagegen die kleine Schaar
der Erwählten bezeichnet, denen die Cultur ihrer Seele
höher, als jede andere Rücksicht steht. — Die Ueber-
tragung der Leiche Hirams in das Mausoleum besagt,
dass man die Wissenschaft der Menge so lange verborgen
halten müsse, bis diese so erleuchtet, sie zu verstehen
und zu fassen und dass es selbst dann stufenweise
geschehen müsse, ebenso wie auch im Rathe der
Geist langsam durch Mühe und Arbeit erleuchtet wird. —
Im 6. Grade wird die Neugierde getadelt und zugleich
gezeigt, wie oft sie verderbenbringend hereinbrechen
kann, wenn sie aber edlen Motiven, als der
Treue und Anhänglichkeit, entsprungen ist, so verdient
sie Belohnung und muss man daher stets zuerst prüfen,
bevor man eine böse Absicht voraussetzt. —
Im 7. Grade bedeutet der goldene Schlüssel, dass
man treu und discret sein müsse und die Waage, dass
es unsere Pflicht, die Leidenschaften zu bekämpfen und
gerecht und unparteiisch gegen Andere und sich selbst
zu sein. —
Der 8. Grad ist eine Hinweisung auf die Bescheidenheit
, die der Mr haben soll, damit er sich nicht höher
als Andere dünke und stets die fünf Eigenschaften der
Brtreue: „handeln, dazwischentreten, bitten, lieben und
helfen" übe. —
Im 9. Grade haben Lüge und Aberglaube der Wahrheit
einen tödtlichen Stoss versetzt und müssen wir uns
daher mit dem Dolche, dem Symbole der geistigen Waffen
, vertheidigen. —
Im 10. Grade wird bewiesen, dass keiner der verdienten
Strafe entgeht, lasse sie auch lange auf sich
warten, während im 11. die treuen Vollstrecker der
höheren Befehle belohnt werden. —
Der 12. Grad ist eine Verherrlichung der Baukunst
und zeigt, dass das Gute in unserer Brust ewig ist und
nie verloren werden kann. —
Im 13. Grade wird gezeigt, dass Gott von Anfang
war und dass wir nur eine alte Kultur der Menscheit
weiter fortsetzen, dass aber auch die Wissenschaft,
wenn sie nicht um ihrer selbst willen, sondern nur aus
Eigennutz und anderen unlauteren Motiven kultivirt
wird, oft schädlich wird, weil er sie dann in den Wahn
der Sicherheit wiegt und so die Gefahren nicht ahnen
lässt.
Der 14. Grad hat die schöne Devise: „Die Tugend
eint, was der Tod nicht trennen kann." Hier werden
alle vorhergegangenen Doctrinen noch einmal wiederholt
und unter biblischem Ceremoniell beschworen.
Im 15. Grade lernen wir, dass man im Unglücke
nicht verzagen soll, da trotz aller Hindernisse und
Widerwärtigkeiten doch zuletzt die Vernunft und Tugend
siegt. So soll auch der Maurer Nichts für seine bedrückten
Brüder scheuen, er soll, ohne seiner eigenen
Würde Etwas zu vergeben, ihre Freiheit erbitten, sie
unterweisen und leiten und mit ihnen vereint dann den
grossen Tempel der Wahrheit zum Ruhme des hehren
Baumeisters des Weltalls aufrichten und ihn nöthigen-
falls auch gegen seine Feinde vertheidigen, da er, wie
die Devise „Freiheit zu denken" besagt, diesem Berufe
geweiht ist.
Im 16. Grade wird gezeigt, dass das frei erworbene
Verdienst und die Liebe der Mitmenschen höher zu
achten ist, als die Vorrechte der Geburt, dass man aber
auch seine Brüder nie verlassen dürfe, sondern sie stets
mit Rath und That unterstützen müsse.
Der 17. Grad lehrt, dass man streben soll, die
Wahrheit zur Geltung zu bringen, da nur sie die Welt
wahrhaft erleuchten und beglücken kann.
Im 18. Grade tragen die drei Säulen, welche zuerst
in der Dunkelheit stehen und dann in hellem Lichte
strahlen, die inhaltsschweren Worte: „Glaube, Liebe,
Hoffnung." Das Kreuz, welches ja schon im Alterthume
in China, Persien und Egypten als mystisches Zeichen
verehrt wurde, wird astronomisch gedeutet, der flammende
Stern ist das Sinnbild Gottes, von dem alles
Schöne und Gute sich nach allen Seiten ergiesset und
den Lauf der Welten regelt, die Quelle des erleuchtenden
, lebendigen und erwärmenden Feuers, das Kreuz
deutet ferner die Leiden und Schmerzen, die dem Sterblichen
auf seiner Lebensbahn ja nicht erspart bleiben,
die Rose ist das Symbol der Freude und des reinen,
ethischen Genusses ohne Reue und Scham, der Pelikan
das Sinnbild der Mutter der Erde, die alle ihre Kinder
ernährt und das einer liebenden Mutter, die, ohne auf
die eigenen Sorgen und Schmerzen zu achten, alle ihre
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