Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 274
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Viele nur „andächtig- schwärmen, um nicht gut handeln
zu müssen", so werden wir wenig Werth legen auf ein
humanes Bekenntniss, wenn es sich nicht ausprägt
in humanen Thaten, in menschenfreundlichen Handlungen
; denn Menschenbildung und Menschenfreundlichkeit
ist ja die erste Seite des Humanitätsbegriffs, der
in seiner Weiterentwicklung den Höhe- und Zielpunkt
bezeichnet, nach dem alle Menschenbildung und Menschenbeglückung
zu streben hat. ^Yo anders sollte sich denn
die Humanität, das menschliche Wohlwollen, Mitleid
und Mitfreude bewähren und bethätigen, wenn nicht
auf den grossen Gebieten des Staates und der Gesellschaft
, zumal in unserer Zeit, wo die entlegensten geistigen
und materiellen Interessen in so nahe Berührung gebracht
und auf das Engste mit einander verschlungen
sind? Mitten hineingestellt und hineingewachsen in das
uns überall und stündlich umgebende Getriebe des politischen
und sozialen Lebens, giebt es für den Bürger
der Neuzeit gar keine andere Baustätte, als das breite
Gebiet des Staates und der Gesellschaft, um am Humanitätsgedanken
alles zu messen und ihn in alle Verhältnisse
hinein zu bauen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist
denn auch die soziale Frage, wie verschieden sie auch
beantwortet werden möge, zugleich eine humane Frage.
Wie entlegen auch die Standpunkte sein mögen, so
w erden doch — u. darin ligt eben die Eigenartigkeit unsrer
Zeit — Männer aller Parteien bewusst oder instinktiv
heutigen Tags auf ein und denselben Punkt hingetrieben.

Hat es die Humanität, wie schon im Worte liegt,
mit dem Menschen zu thun, so können wir die beiden
fruchtbarsten und wesentlichsten Gebiete^ menschlich«»
Thatlebens nicht auf einen Isolirschemel stellen; denn
der Mensch ist ein geistig-sinnliches Wesen, das, um
denken und handeln, um das Schöne und Gute lieben
zu können, erst leben und seiner sinnlichen Natur Rechnung
tragen muss. Die Geistfrage ist für ihn zugleich
eine Magenfrage. Ferner ist der Mensch zugleich ein
politisches und ein gesellschaftliches Wesen; er ist nicht
blos Einzelwesen, sondern auch Staats- und Weltbürger,
und insofern hat die Humanitäts-Idee unzweifelhaft mit
seinen politischen und gesellschaftlichen Rechten und
Pflichten, wie mit seinem geistigen und leiblichen Wohlsein
zu thun.

Die geistigen Thätigkeiten und Kräfte des Menschen
fuhrt Herd er, der eigentliche Apostel der Humanität
auf zwei zurück: auf Vernunft und Freiheit.

Das Leben der Einzelnen, wie der Gesammtheit
vernünftig, frei, gerecht und menschenwürdig zu gestalten
, ist unzweifelhaft eine Forderung der Humanitäts-
Idee. Dieselbe bedingt gleiches Recht für Alle, verwirft
jedes Monopol, jede Bevorrechtung Einzelner zum
Nachtheil der Uebrigen. Bisher haben einzelne bevorrechtete
Theile und Klassen geherrscht, während die
Mehrheit des Volkes bevormundet wurde. Der Humanitätsgedanke
dagegen spitzt sich in der Frage zu, welches die
höchste und letzte Instanz im Völkerleben, in der umfassendsten
menschlichen Gemeinschaft, sein soll, und
er antwortet darauf mit der Forderung, dass das Volk,
die Gesammtheit, herrschen, dass der geläuterte Volks-

wrille oberstes Gesetz sein solle, wie er sich kundgiebt
nach gewissenhafter Berathung und ernstem Meinungskampfe
in der Mehrheit der frei gewählten Vertreter
einer Gemeinschaft. So ist also die Humanität ihrem
Wesen nach die Herrschaft des geistigen Bewusstseins,
wie es sich eben in der Mehrheit einer Gesammtheit
vorfindet.

Alle Uebel und Leiden, die das Volk drücken, alle
Noth und alles Elend in der Welt haben ihre Wurzel
im Menschen selbst, und muss daher auch das Gegenmittel
für die Heilung in ihm liegen. Da nun aber die
Menschen niemals vollkommen sein werden, so ist es
von vornherein unmöglich, alle Uebel und Leiden, alle
Noth und alles Elend aus der menschlichen Gesellschaft
zu entfernen, jeder Radicalismus also ein Unding und
die Wurzel neuer Uebel; wohl aber können dieselben
gemildert, auf ein möglichst geringes Maass und ein
möglichst enges Gebiet zurückgeführt werden. Vermögensunterschiede
wird es immer geben; aber eine so
breite Kluft, wie sie gegenwärtig zwischen Besitzenden
und Besitzlosen besteht und solch' ein abnormes und entsetzliches
Missverhältniss im Prozentualsatz, wie 30 Prozent
Wohlhabende zu 70 Prozent Dürftigen und Armen,
ist keine Naturnotwendigkeit, sondern eine Ungerechtigkeit
, welcher die bessernde Hand des Menschen bis zu
einem gewissen Grade Herr werden kann.

Werfen wir einen auch nur flüchtigen Blick auf
die Gegenwart, so erkennen wir sofort, was der humane
Gedanke für eine wesentliche Besserung der Verhältnisse
leisten kann. Wenn auf der einen Seite die Steuerschraube
schon auf ein untragbar hohes Maass hinaufgetrieben
und auf der andern die Erwerbsfähigkeit gesunken
ist, dann ist die Einführung einer Verbrauchsteuer auf
die unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse zu Lasten des
kleinen Mannes gewiss kein humaner Akt! Wenn man
weiss, dass in gewissen Landstrichen unter gleichen
Umständen Hungersnoth und Hungertyphus periodisch
wiederkehren, und man lässt die Bedingungen hierfür
ununtersucht und greift das Uebel nicht ernstlich an,
so ist das keineswegs human; denn humane Bestrebungen
bezwecken nicht allein, der vorhandenen Noth abzuhelfen
, sondern vielmehr, ihr zuvorzukommen. Die Humanität
giebt nicht nur gern Almosen, sondern noch
viel lieber ist sie bereit, Veranstaltungen zu treffen,
dass keine Almosen nöthig sind. Ihr sind Arbeitgeber
lieber, als Almosenspender, weil es menschenwürdiger
ist, zu arbeiten, als zu betteln. In dieser Hinsicht hat
Lessing schon vor 100 Jahren das grosse Wort ausgesprochen
, man müsse alle baubedürftigen Plätze der
menschlichen Gesellschaft mit tüchtigen Arbeitern besetzen
und solche gute Thaten thun, welche das,
was man gemeinhin gute Thaten zu nennen pflege,
überflüssig machen. Diese guten Thaten, welche
den menschlichen Leiden an die Wurzel gehen, äussern
sich nach drei Richtungen; sie bestehen in intellektueller
Hinsicht in der Erkenntniss der Uebel und ihrer volkswirtschaftlichen
Heilmittel; in sittlicher Hinsicht in der
Verbreitung humaner Gesinnung und humaner Willens-
richtung, welche für deren Beseitigung thätig eintritt,


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