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Veher den Einfluss der Frmrei auf die menschliche
Gesellschaft.
I.
Von Br Georg Treu,
Mitglied der Loge Freundschaft, Or. Pressburg.
„Unserer fortschreitenden Kultur ist nicht zu trauen.
Wir sehen, was sie thut. Sie macht die Menschen woh*
feiner, aber nicht gesünder; wohl gescheidter, aber nicht
-weiser; wohl klüger, aber nicht besser; wohl genusssüchtiger
, aber nicht glücklicher. — Diese Wege der modernen
Welt sind mir unheimlich." P. R. Roaegsrer.
„Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden als
Eure Schulweisheit sich träumen lässt."
Shakespeare, Hamlet.
Wenn in Kreisen sogenannter gebildeter Männer
die Rede ist von dem Einflüsse der Freimaurerei auf
die menschliche Gesellschaft im Allgemeinen, so begegnen
wir zuweilen der seltsamen Aeusserung, dass die Kultur
unserer Tage diese Institution überflüssig erscheinen
lasse.
Eine derartige Anschauung ist vollkommen berechtigt
für Denjenigen, dessen geistiger Gesichtskreis damit
abschliesst, dass für ihn nur solche Dinge existiren,
welche in ihren Erscheinungen unmittelbar wahrnehmbar
und greifbar sind.
Etwas, das sich nicht messen und nicht wägen
lässt, das sich somit hinsichtlich seines sogenannten
inneren Werthes einer ziffermässigen Schätzung entzieht}
ist für solche Personen nicht vorhanden, nicht zur
Existenz berechtigt.
Weil die Grundgesetze unserer Institution die korporative
Einmischung in öffentliche Tageshändel unter- >
sagen, Politik, Religion und Sozialismus im Sinne der
landesläufigen Parteigetriebe als Gegenstände unserer
Beschäftigungen im Logenleben ausgeschlossen sind, so
folgern solche Beurtheiler, dass die frmrische Gemeinschaft
damit auch für die menschliche Gesellschaft
gegenstandslos geworden sei und eine antiquirte Einrichtung
wäre.
Wenn diese Institution überhaupt ein Interesse für
die gebildeten Kreise der menschlichen Gesellschaft
gehabt habe, so müsse dieses in früheren Zeiten nach
den Meinungen solcher Beurtheiler darin bestanden
haben, dass diese Institution unter schlichtem Namen
und harmloser Hülle doch verbotene Früchte gehegt
und gepflegt habe.
Es mag wohl auch in dieser Gemeinschaft vorgekommen
sein, dass sie des öfteren das Schicksal aller
anderen menschlichen Vereinigungen gehabt hat , dass
sich ihr einzelne Schwärmgeister und Abenteurer,
Egoisten und auch Gaukler angeheftet haben, denn
keine Sache ist heilig genug, um geschützt zu sein
gegen Missbrauch unreiner Elemente.
Wenn wir aber die Mitgliederlisten einer grossen
Anzahl von Bauhütten seit dem Jahre der Gründung
(1717) durchsehen und die Zahl jener Mitglieder in
ernste Erwägung ziehen, welche dieser erhabenen Institution
nicht zur äusseren Zierde gereichten und im
inneren Logenverkehr den übrigen Mitgliedern manches
Missvergnügen bereitet haben, so finden wir bei kühlem
Ueberblick, dass in den meisten Bauhütten missrathene
Genossen glücklicherweise doch seltene Thatsachen sind,
i Den Hauptkern aller Logen bildete zu aller Zeit
stets eine Mehrheit biederer Charaktere, welche einen
hohen Werth darauf legten, überhaupt wenig Anlass
zu geben im öffentlichen Gemeinleben als Mitglieder
dieser Gesellschaft genannt zu werden und welche ein
eigenthümliches Mittel gebrauchten, unruhige Elemente
lahm zu legen, indem sie entweder solche Leute zum
Ausscheiden zu veranlassen suchten oder selbst ausschieden
, um auf diese Weise lästige Glieder abzuschütteln
, welche dann, auf sich allein angewiesen, in
der Regel rasch der Gemeinschaft den Rücken kehrten,
nicht ohne hie und da recht weidlich auf ihre früheren
Genossen loszuziehen, wie das von Abfallenden auch
in anderen Lebensbeziehungen zuweilen geschieht.
Wenn nun die Logen von ihren Versammlungen
jene Dinge ferne halten, welche die Gemüther in schädlicher
Weise erhitzen, so hat nach den Meinungen
jener Männer, welche in erregenden Parteikämpfen ihr
Lebenselexir finden, unsere Institution keinen Zweck,
da nach ihrer Ansicht Politik, Religion und Sozialismus
die drei Erscheinungen sind, in deren Kleid sich alles
menschliche Treiben präsentirt
Die Anhänger dieser Theorie übersehen dabei, dass
die Frmrei als Idee und das Logenthum als Träger
dieser Idee, ihre Mitglieder in Hinsicht ihrer politischen,
religiösen und sozialen Glaubensbekenntnisse in nichts
beengt und von ihnen nur verlangt, dass sie sich im
öffentlichen Leben stets so verhalten sollen, dass sie
1 der allgemeinen Achtung sich würdig zeigen.
Selbst Werke der Barmherzigkeit bilden nach dem
Geiste unseres Bundes kein frmrisches Spezifizum,
sondern die Haupttendenz der Institution zielt dahin,
für selbstständige, gebildete Männer aller Stände, aller
Altersstufen, aller Kulten und aller Nationalitäten das
neutrale Terrain zu schaffen, auf welchem dieselben,
durch persönliche Hochachtung und Freundschaft an
einander gekettet, sich von Zeit zu Zeit zusammenfinden
, um im gesellig-bildenden Verkehr Vorurtheile
aller Art abzustreifen, in der Aneignung menschlicher
Erkenutniss ununterbrochene Fortschritte zu machen
und mit der erhöhten Geisteskultur auch die Charaktere
leichter stählen zu lernen.
Wenn nun jede Bauhütte nach ihren Kräften diesem
Ziele lebt, so wirkt dieselbe doch unstreitig im Interesse
der allgemeinen Kultur.
Den Geist bilden, das Herz festigen, den Menschen
erheben, ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft
zu werden, ist doch jedenfalls ein anerkennungswürdiges
Bemühen.
Schule und Kirchen überlassen uns im gereiften
Alter der eigenen Führung und in Tausenden von
Menschen wäre das geistige und ethische Streben, wenn
nicht erloschen, doch nur schwach geblieben, wenn
nicht unter dem wohlthätigen Einflüsse des bildenden
und veredelnden Logenlebens die vorhandenen Keime
weiter entwickelt worden wären.
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