Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 362
(PDF, 136 MB)
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362

bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden,
und leiden müssen, eine Bemäntelung- der Tyrannei ist".
Was Lessing- noch als eine am besten zu verschweigende
Wahrheit hingestellt, das wird jetzt auf allen Gassen
gepredigt mit dem dahinter stehenden Willen, diese
„Tyrannei-' abzuschütteln. Der „Weise" kann daher in
der Gegenwart über diese Dinge nicht mehr schweigen;
er muss sie erkennen und nach Mitteln der Abhilfe
forschen und diese mit sittlichem Ernste ins Werk setzen.
In gleichem Sinne spricht sich auch Lessing aus: „Das
bürgerliche Leben des Menschen, alle Staatsverfassungen
sind nichts als Mittel zur menschlichen Glückseligkeit",
„Mittel menschlicher Erfindung", mithin „nicht unfehlbar
", so dass sie öfters „ihrer Absicht nicht allein nicht
entsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegentheil
davon bewirken". Selbst aus der besten Staatsverfassung
entspringen Dinge, welche der menschlichen Glückseligkeit
höchst nachtheilig sind. Dies zeigt nunmehr Lessing
und wollen wir bis zum Ende des Gesprächs zunächst
ihn unverkürzt reden lassen:

Falk.

Wir nehmen also die beste Staatsverfassung für
erfunden an; wir nehmen an, dass alle Menschen in der
Welt in dieser besten Staatsverfassung leben: würden
deswegen alle Menschen in der Welt nur einen Staat
ausmachen ?

Ernst.

Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat würde
keiner Verwaltung fähig sein. Er müsste sich also in
mehrere kleine Staaten vertheilen, die alle nach den
nehmlichen Gesetzen verwaltet würden.

Falk.

Das ist: die Menschen würden auch dann noch
Deutsche und Franzosen, Holländer und Spanier, Bussen
und Schweden sein; oder wie sie sonst heisen würden.

Ernst.

Ganz gewiss!

Falk.

Nun da haben wir ja schon Eines. Denn nicht
wahr, jeder dieser kleinen Staaten hätte sein eigenes
Interesse? und jedes Glied derselben hätte das Interesse
seines Staats?

Ernst.

Wie anders?

Falk.

Diese verschiedene Interesse würden öfters in Col- '
lision kommen, so wie itzt: und zwei Glieder aus zwei
verschiedenen Staaten würden einander eben so wenig
mit unbefangenem Gemüth begegnen können, als itzt
ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem
Engländer begegnet.

Ernst.
Sehr wahrscheinlich!

Falk.

Das isk wenn itzt ein Deutscher einem Franzosen,
ein Franzose einem Engländer, oder umgekehrt, begegnet
, so begegnet nicht mehr ein blosser Mensch einem
blossen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur
gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher !

Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer
verschiedenen Tendenz sich bewusst sind, wrelches sie
gegen einander kalt, zurückhaltend, misstrauisch macht,
noch ehe sie für ihre einzelne Person das geringste mit
einander zu schaffen und zu theilen haben.

Ernst.
Das ist leider wahr.

Falk.

Nun so ist es denn auch wahr, dass das Mittel,
welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese
Vereinigung ihres Glückes zu versichern, die Menschen
zugleich trennet.

Ernst.

Wenn du es so verstehest.

Falk.

Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern
Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich
ganz verschiedene Bedürfnisse und Befriedigungen, folglich
ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich
ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene
Eeligionen haben. Meinst du nicht?

Ernst.

Das ist ein gewaltiger Schritt!

Falk.

DiejMenschen würden auch dann noch Juden und
Christen und Türken und dergleichen sein.

Ernst.

Ich getraue mir nicht, Nein zu sagen.

Falk.

Würden sie das; so würden sie auch, sie möchten
heissen, wie sie wollten, sich unter einander nicht anders
verhalten, als sich unsere Christen und Juden und
Türken von je her unter einander verhalten haben.
Nicht als blosse Menschen gegen blosse Menschen;
sondern als solche Menschen gegen solche Menschen
die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen,
und darauf Rechte gründen, die dem natürlichen Menschen
nimmermehr einfallen könnten.

Ernst,

Das ist sehr traurig; aber leider doch sehr ver-
muthlich.

Falk.

Nur vermuthlich?

Ernst.

Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen
hast, dass alle Staaten einerlei Verfassung
hätten, dass sie auch wohl alle einerlei Religion haben
könnten. Ja ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung
ohne einerlei Religion auch nur möglich ist.

Falk.

Ich eben so wenig. — Auch nahm ich jenes nur
an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlässig
eben so unmöglich, als das andere. Ein Staat:
mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatsverfassungen
. Mehrere Staatsverfassungen: mehrere Religionen
.

Ernst,
Ja, ja: so scheint es.


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