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Wie der politische, soll auch der Standes - Egoismus \
prinzipiell aufgehoben sein in unserem Bunde; deshalb
ist unser Bund auf das dem Egoismus entgegengesetzte
Prinzip gegründet, das der Liebe zur Mitkreatur. Und
ein solcher Bund, diese weiteste Vereinigung auf der
sittlich-reinsten Grundlage, an welcher Staates- und |
Standesvereinigungen erst Antheil haben müssen, um
sittlich gereinigt zu sein — dieser Bund wäre nur zur
Ableitung der Uebel von einer jener niederen Vereinigungen
? — Endlich soll derselbe Bund in seinen
Gliedern die Vorurtheile der angebornen d. i. der einem
Jeden in Folge seiner Geburt zufällig aufgedrungenen
Religion, soweit aufheben, dass er im Stande sein kann,
die Möglichkeit zu denken, dass auch in der fremden
Religion Wahrheit sei, und im Stande sein kann, dem
Andersgläubigen dieselbe Anerkennung und Liebe zuzuwenden
, die er seinen Glaubensgenossen schenkt. —
— Also wiederum ist es eine Art von Egoismus, demnach
eine Art niederer Sittlichkeit, welche die Nachtheile
der Trennung verursacht; eine Art niederer Sittlichkeit
ist es, welche dadurch hervorgebracht wird, wenn die
Angehörigen der verschiedenen Religionen und Kirchen
nicht Gelegenheit haben, sich unter einem noch allgemeineren
Schiboleth, noch auf einer letzten übrig bleibenden
Basis, verbunden zu fühlen. Diese höchste Vereinigung
, welche sonach gefordert erscheint, um eine
Vereinigung zu haben, welche jede Art von Egoismus
abschneidet: sie wird demnach die Kirchen ebenso in
sich einschliessen, wie sie die Staaten und die Stände
in sich einschloss, und erst durch dieses ihr Einschliessen
wird sie diese engeren Vereinigungen vollständig entsündigen
. Die weiteren, wie die engeren Verbindungen
beide sind nothwendig; beide in harmonischer Durchdringung
stellen erst das volle Bild der Menschheit dar;
aber es leuchtet ein, dass, wie das Allgemeine immer
vor dem Besonderen ist, so auch hier die allgemeinste
und höchste Vereinigung, die allen Egoismus prinzipiell
ausschliesst und ihn dadurch von den engeren Ver-
einigunden fernhält, das vor Allem Herzustellende ist
welches die Bedingung ausmacht für das vom Egoismus
fre|e, also von jenen durch Lessing angedeuteten
Nachtheilen gereinigte Gedeihen der engeren Vereinigungen
, der Einzelkirchen, der Staaten, der Stände, und
weiter abwärts bis zu den Familien, Avelches aber zugleich
und vor Allen, ja viel mehr als alle die genannten
engeren Vereinigungen, Selbstzweck ist."
Wir haben diese geistvolle und interessante Ent-
wickelung des Lessing'schen Begriffs der FrMrei von
Br Seydel fast unverkürzt gegeben, weil er den Gegenstand
von einer wichtigen Seite aus beleuchtet. Wir
können aber kaum annehmen, dass der Verfasser den
Lessing'schen Gedanken richtig ausgelegt und erschöpft
hat. Dass die Kunst der FrMrei die höchste Sittlichkeit
fordert, ist zweifellos, dass sich diese, von allem
Egoismus freie Sittlicheit gleichsam schon von selbst
ergebe, wenn ein Bund den trennenden Vereinigungen
(Staat, Stand, Religion, Sippe, etc.) gegenüber statutarisch
neutral sich verhält und theoretisch sich auf einer
allgemeineren Basis aufbaut, möchten wir bezweifeln.
Wäre dies die Ansicht Lessing's gewesen und wäre
diese Auffassung richtig, so würde der Frmrbund ohne
Ritual bestehen können und, sofern dies überflüssig wäre,
ohne dasselbe bestehen müssen. Die über allen engeren
Bünden stehende, weiteste Vereinigung hat ihren Zweck
nicht in dieser Art der Vereinigung selbst; der FrMr-
bund ist der Träger der FrMrei und FrMrei ist eine
Kunst. Zu diesem künstlerischen Schaffen und
Wirken hat nicht Jeder, der nur von den Vorurtheilen
des Staates, des Standes, der Religion soweit absehen
kann, um sich auf neutraler Basis mit Andern zu verbinden
, den Beruf in sich, den er durch seinen äusser-
lichen Beitritt und durch Nachachtung der Statuten
erfüllen könnte. Der künstlerische Beruf ist eine innere
Eigenschaft, der Trieb nach Verwirklichung eines Ideals,
oder, wie Lessing später sagt, das Bewusstsein gemeinschaftlich
sympathisirender Geister. Der Stoff des
künstlerischen Schaffens zur Herausbildung eines Ideals
ist der Mensch, ist die Gesellschaft und das Ideal
— ist ebenfalls die Gesellschaft, ist jener von Lessing
angedeutete Zustand sozialer Vollendung, wo bei voller
Selbstregierung des Volkes jedem Einzelnen das ihm
zukommende, verdiente und nach Gerechtigkeit zugemessene
Mass von Glückseligkeit zu Theil wird. Die
Vereinigung in Staaten bedingt Trennungen und diese
machen sich auch innerhalb des Staates durch das Vorhandensein
verschiedener Stände, Religionen, Eigenthumsverhältnisse
geltend. Diesen Trennungen gegenüber ist
es schon ein Fortschritt, eine soziale Wohlthat (wie der
Rauchfang), wenn sie in Gedanken aufgehoben, praktisch
für unwirksam erklärt sind, wie dies im Frmr-
bunde der Fall; diese geistige Ueberwindung hebt schon
eine Reihe von Uebeln auf. Iber jene Trennungen
sind nicht so „heilig, dass es verboten sein sollte, Hand
an sie zu legen, in Absicht, sie nicht grösser einreissen
zu lassen, als die Nothwendigkeit erfordert, in Absicht,
ihre Folgen so unschädlich zu machen, als möglich."
„Und es wäre zu wünschen, dass sich die Weisesten
und Besten eines jeden Staates diesem Operi superer-
ogato freiwillig unterzögen." Die Männer, die in diesem
Sinne arbeiten, wirken, thätig sind, das sind die Frmr.
Liegt es nun auch zweifelsohne jetzt noch in weiter
Ferne, mit Lessing anzunehmen, „dass alle Staaten
einerlei Verfassung und wohl auch einerlei Religion
haben könnten", so ist der Gedanke selbst doch ein
idealer und zwar kein utopistischer, wenn man nur die
Gleichheit der obersten Grundsätze, nicht der nebensächlichen
Details voraussetzt.
Alle Menschen haben den gleichen Beruf und die
gleiche Bestimmung; die Wissenschaft ist ein Gemeingut
und die sittlichen Forderungen sind Allen gemeinsam
und für Alle verbindlich. Die materiellen Interessen
weisen alle Nationen auf einander an zu humanem Verkehr
und zu gerechtem Austausch. Gelangen die drei
grossen Lichter der FrMrei überall zur Herrschaft,
Religion (sittliche Wechselverpflichtung Eines für Alle),
Recht und Brüderlichkeit, dann gibt es keinen Krieg
unter den Menschen mehr, weder um materielle Güter,
noch aus nationaler Herrschsucht; dann herrschen von
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