Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 404
(PDF, 136 MB)
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404

entfernen soll, das verräth doch ausserordentlich wenig
Rücksicht auf das an sich langsame Tempo der Kulturgeschichte
. Wie lange haben denn die heutigen Urgermanen
gebraucht, um aus dem Zustande, in welchem
Cäsar und Tacitus sie fanden, zur heutigen Bildungsstufe
sich zu erheben! An zwei Jahrtausende! Und Sie
verlangen, ein Volksstamm solle in 2 Jahrzehnten aufs
Schnellste alle Eigenschaften ablegen, die Ihnen unangenehm
, abstossend erscheinen? Ist solches Verlangen
gerecht, ist es wahrhaft brüderlich?

Doch sehen wir uns diese Eigenschaften einmal
etwas näher an. Sie nennen sie nicht, also muss ich
sie selbst aufsuchen.

Da ist es z. B. jetzt Mode, die gesammte wirth-
schaftliche Entwicklung, und besonders deren Auswüchse,
Wucher-, Gründerthum, Giftbaum etc. den Juden in die
Schuhe zu schieben, über die Erwerbsucht und Geldgier
der Juden salbungsvoll zu Gericht zu sitzen. Ich finde
diese Laster bei den Juden nicht grösser und nicht
kleiner, als in der heutigen Welt überhaupt. In jeder
Epoche der Wirthschaftsgeschichte finden wir Zeiten
sprungweisen Aufschwungs und damit einer materiellen,
irrenden Richtung — mit oder ohne Juden. Waren die
Blutsauger des römischen Kaiserreichs, die Wucherer
auf dem Cäsarenthrone Juden? Hatten Law und die
Mitgründer seiner Südseekompagnie Theil am Judenthum
? Finden wir bei dem holländischen Tulpenschwindel
die Juden vertreten? Waren die starken Triebkräfte der
vorjährigen Schutzzollbewegung in Deutschland Juden?
Wahrlich, der Vorwurf, dass die Juden an den Uebeln
der Zeitrichtung Schuld tragen, das Volksbewusstsein
vergiften und wie die schönen Reden alle lauten, —
welche Sie, geliebter Br allerdings nicht aussprehen,

— kommt mir doch gar zu komisch vor. Ich fühle mich da
oft im Geiste in die Schuljahre zurückversetzt. Doch nein!

— Da hat unsre Klasse — es waren ihrer wohl sechzig

— nie behauptet, sie sei von den zwei letzten Schülern
verführt worden! — Der Lehrer hätte uns ja ausgelacht!

Wäre aber selbst diese spezifisch jüdische Erwerbsucht
begründet, wächst denn das, was die Juden erwerben
, nicht auch dem Nationalvermögen zu, vermehrt
es nicht die Steuerkraft der Nation, so gut als der Erwerb
Andersgläubiger? Man beneidet die Engländer,
die Holländer um ihr Geschick für den Handel, man
sucht ihnen nachzueifern auf dem Weltmarkt und im
selben Augenblick stempelt man Handel und Erwerb zu
einer Art niedrigen Berufs und macht diejenigen verächtlich
, denen man— doch zumeist in Folge jahrhundertelanger
zwangsweiser Anpassung — mehr Geschick darin
zutraut! — Und gibt es nicht Juden, jüdische Brr, die
ihren Gewinn redlich nützen zum Wohle der Gesammt-
heit und sich reichlich selbst besteuern zu Gunsten der
Armuth und des Elends ohne Unterschied der Konfession,
während die Mehrzahl der bisherigen öffentlichen milden
Stiftungen an das christliche Bekenntniss gebunden ist?
Freilich es gibt auch andere hartherzige, egoistische
Menschen, aber die Statistik steht noch aus und wird
wohl nie beigebracht werden, unter welcher Konfession
die Einen oder die Anderen zahlreicher vertreten sind.

Mich würde es nach der historischen Entwickelung
nicht wundern, wenn sogar die Juden heute noch prozentuell
tiefer ständen. Man lasse doch ein Paar Jahre
Zeit und es wird da manche Verschiebung eintreten!

Es ist ein gar traurig Ding, dass eine Minorität
und nun gar eine konfessionelle Minorität, es nie allen
Leuten recht machen kann. Ziehen wir uns zurück,
so klagt man über Abschliessung; kommen wir in die
christliche Gesellschaft, so sind wir aufdringlich. Geben
wir wenig aus, so nennt man uns schäbig; lassen wir
etwas unter die Leute kommen, so gelten wir für protzig.
Lassen wir uns taufen, so zuckt man über das Apostatenthum
die Achseln; bleiben wir äusserlich bei dem Glauben
der Väter, so werden wir der Abneigung gegen das
Christenthum geziehen. Betheiligen wir uns nicht an
der Politik, so zeiht man uns des Mangels an Vaterlandsliebe
; reden wir aber drein, so wirft man uns An-
massung vor! — (Ja, ja lieber Br, das Parket des öffentlichen
Lebens ist für den Juden sehr schlüpfrig und es
ist viel, viel leichter, ein anständiger Christ zu heissen,
als für einen halbwegs anständigen Juden zu gelten!)
( Wucherten und trödelten unsere Voreltern, so wies man
mit Verachtung auf sie hin; im Gefühle dieser Verächtlichkeit
suchten sie ihre Kinder zu Besserem zu erziehen:
da regt sich allenthalben das Gefühl des Unmuths über
die frechen Eindringlinge. Diese Antipathie gegen die
Eindringlinge ist, wie ich glaube, noch in ihren Anfängen
und im Wachsen. Diese Antipathie ist der Kernpunkt
der ganzen Bewegung, besonders wie sie sich in einem
Theile des deutschen Professoren- und Beamtenthums
geltend macht und eben im Begriffe steht, auch auf die
akademische Jugend übertragen zu werden.

Dem Einen gibt es zu viele jüdische Beamte, dem
Andern zu viele jüdische Lehrer, dem Dritten zu viele
Journalisten und alle sehen mit einem gewissen Neid
auf den Offizierstand hin, der gottlob den Juden noch
versperrt ist. Aber, nein lieber Br, verlangen Sie im
Ernste von mir, dass wenn ich mich befähigt fühle, Sie
an dieser Stelle sachlich zu widerlegen, ich statt dessen
meine Zeit etwa mit Abschreiben hinbringen soll, oder
verlangen Sie von mir, dass ich meine Kinder, die ich
zu einem besseren Berufe veranlagt finde, soll zu Steinklopfern
oder Handlangern erziehen, nur um dem Vorurtheil
gegen die jüdische Rage die Spitze abzubrechen? Würden
wir damit den gewünschten Zweck überhaupt erreichen ?
Ich will keineswegs sagen, dass ich den Bestrebungen,
einen Theil der Juden zum Handwerk und Ackerbau zu
erziehen, nicht alle Sympathie entgegenbringe und ich
würde meinerseits gar keinen Anstand nehmen, meine
Kinder je nach ihren Anlagen auch zu solchem Berufe
zu bestimmen. Diese Bestrebungen sind da, sind auch
nicht ohne Erfolg, nur geht das nicht so im Galopp. —
Speziell im Osten wendet die vielgeschmähte Alliance
Israelite alle Kraft an, um die Juden zum Handwerk
und zum Ackerbau zu erziehen und sie hat während
der kurzen Zeit ihres Bestehens grosse mit Zahlen
nachweisbare Resultate erzielt.

Vielfach lässt man sich auch durch Schlagworte,
für welche man keinen Beweis sucht, in gutem Glauben


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