Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., F 764,n - 23.1880
Die Bauhütte: Zeitung für Freimaurer
Leipzig, 1880
Seite: 405
(PDF, 136 MB)
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405

irre führen. „Die Juden beherrschen die Presse!" so j
klingt's mit mehr oder weniger Recht von Berlin
herüber. Man betet es gläubig nach und denkt nicht
daran, dass mit Ausnahme vielleicht von Frankfurt
am Main — dieses Wort in Süddeutschland absolut
keine Berechtigung hat. Ich hätte gute Lust, eine
Prämie auf jeden Juden zu setzen, der mir bei Redaktion
oder Verlag der tonangebenden süddeutschen Organe
, des Schwäbischen Merkur, der Augsburger Abendzeitung
, der Augsburger Allgemeinen Zeitung etc. nachgewiesen
werden kann!

Ueber persönliche Sympathien lässt sich ja nicht
streiten. Auch mir sind manche Juden recht widerwärtig
, nicht minder manche Christen; ich suche aber ,
den Grund nie in der Konfession oder in der Race,
sondern im Individuum. Es gibt viele Leute, denen
sogar der jüdische Gesichtstypus schon ein Gruseln
erweckt, während sie den ganz ähnlichen Typus in
Italien oder Spanien schön und interessant finden.
Gegen solche Dinge kann nur Zeit und Gewohnheit
helfen. Ich meines Theils habe die merkwürdige Beobachtung
gemacht, dass sogar diese äusseren Eigen-
thümlichkeiten auch ohne Racenvermischung sich
mehr und mehr verwischen. Schon in der jetzigen Generation
, soweit sie in den Städten wohnt, werden Sie,
geliebter Br, weit weniger krumme Nasen und weit
mehr blonde Haare finden. Und ich hoffe mit Freude,
dass an dem obenerwähnten Tage, wo wir uns gegenseitig
unsern Glaubensgenossen auf der Höhe allgemein
objektiver Anschauung vorstellen werden, Sie auch in
der äusseren Erscheinung mein Gefolge von dem Ihrigen
kaum verschieden finden sollen.

Ich glaube, im Gegentheil, wenn man gerecht sein
will, so wird man sagen müssen, dass sich die Juden
in dem kurzen Zeiträume seit ihrer Befreiung sehr rasch
den Gewohnheiten der Nationen angepasst haben,
denen sie angehören. Welcher Unterschied ist nicht
zwischen dem französischen Juden und dem deutschen?
Der Erstere ist ein liebenswürdiger Chauvinist, ganz
wie der Franzose, der Letztere ein idealistischer, etwas
plumper Schwärmer, ganz wie der Deutsche. Ja mir
geht es in mancher Richtung, so sehr ich diese Amal-
gamierung herbeiwünschte, damit etwas zu schnell, denn
mit den schlechten Eigenschaften, die wir ablegen,
geben wir allzusehr auch die guten preis. Daran muss
ich oft denken, wenn ich jetzt auch bei Juden mehr
wie früher statt des innigen Familienlebens unglückliche
Ehen finde, wenn ich gegenüber der gewöhnten angestammten
Nüchternheit jüdischen Trunkenbolden und
Bonvivants begegne, oder jüdische Hartherzigkeit gegen
die Armuth zu tadeln habe. Sei's drum! Keine Fortbildung
ist ohne Schattenseiten.

Ich freue mich, dass die Juden in dem kurzen Zeitraum
gute Bürger, gute Deutsche (wie längst gute
Franzosen, gute Engländer) geworden sind, und gerade
der Umstand, dass sie fast ohne Ausnahme in der Neuzeit
mit Ueberzeugung und Begeisterung auf Seiten
des liberalen Bürgerthums gestanden sind, hat ihnen die
neueste Verfolgung zugezogen.

Als Jude genirt mich diese Verfolgung nicht. So
unbequem sie ist, so wird sie in ihren letzten Konsequenzen
, wie alle Verfolgungen, den Angegriffenen nur
nützen; als Deutscher und als Frmr muss ich diese Dinge
tief bedauern, welche das Ansehen unserer Nation in
den Augen der ganzen zivilisirten Welt herabdrücken.
Ich wünsche nur, dass der Pessimismus, welchen diese
Hetze in den Betroffenen erregen muss, nicht allzu tief
gehen möchte. Denn ich habe manchmal in der letzten
Zeit von gebildeten Glaubensgenossen Reden hören
müssen, wie etwa diese: „Wir haben ja Alles gethan,
um als gute Bürger und gute Deutsche zu gelten, und
doch verfolgt man uns jetzt wie eine fremde Meute.
Lasst uns auf uns selbst zurückziehen!"

Wenn diese Stimmung innerhalb des gebildeten
Judenthums um sich griffe — und sie liegt sehr nahe —
so würde ich das tief bedauern, für die Juden sowohl,
als für die Nation. Ich lasse diesen Pessimismus in mir
nicht aufkommen und mahne von ihm ab, wo ich kann.
Denn er fusst auf dem gleichen Unrecht, wie die Bewegung
, die ihn hervorruft: Dass er Allen entgelten
lässt, was Einzelne sündigen.

Unwillkührlich aber wirft die jetzige Strömung
uns etwas mehr zurück in die konfessionellen Schranken.
Wenn sonst die Volkszählungskarte kam, da konnte ich
mich manchmal besinnen, ob es recht sei, meine Geburt
als „Jude" massgebend sein zu lassen, ob ich nicht
vielmehr meiner inneren Ueberzeugung durch die Bezeichnung
konfessionslos, diese oder eine ähnhliche Geltung
verschaffen solle? Diesmal, — ich gestehen es —
bezeichnete ich ohne Besinnen und mit einem gewissen
Stolz mich als Jude, denn unter heutigen Verhältnissen
will ich lieber Wild, als Jäger sein!

Mit Bezug auf die Abstellung dessen, was so vielfach
an den Juden getadelt wird — das feste Zusammenhalten
unter sich und Abschliessen gegen die Andern —
kann also die jetzige Strömung nur nachtheilig und
rückbildend wirken. Wenn der Jude heute an allen
Wirthstischen, in allen Gesellschaften über eine sog.
Judenfrage und deren tiefe Berechtigung allen Ernstes
muss debattiren hören, dann kann er sich da nicht
wohl fühlen und muss sich, wenigstens sozial, auf den
engeren Kreis beschränken. Doch dass dieses Zusammenhalten
, welches Sie übrigens bei allen Minoritäten finden
— bis zur Billigung von Gesetzesübertretungen
gehe, gewohnheitsgemäss gehe, für diese schwere Beleidigung
sind Sie, gel. Br., den Beweis schuldig geblieben
. Meine Erfahrungen lehren mich gerade im
Gegentheil, dass die gebildeten Juden gegen die Schwächen
und Verfehlungen ihrer Glaubensgenossen sehr
strenge sind. Da sie solche Missbilligung aus guten
Gründen nicht immer an die grosse Glocke hängen —
das besorgen schon Andere genugsam — so entziehen
sich diese inneren Vorgänge dem aussenstehenden Beobachter
!

Das ganze Aufwerfen dieser sog. Judenfrage ist
ein ungeheures, mit dem Geiste des Jahrhunderts und
der Frmei unvereinbares Unrecht. Um so trauriger, dass
auch die Frmrei ihren Stein zu diesem Gebäude des


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