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Ueber die neuen Prinzipien
in der Lehre von der Einrichtung des
sensiblen nervensystems.
In der letzten Zeit ist auf dem«Gebiete des Nervensystems, in Folge der Einführung neuer trefflicher Untersuchungsmethoden
, über die Bauprinzipien bekanntlich ein tiefer eindringendes Licht geworfen worden. Obwohl
die daraus resultirenden Anschauungen noch keineswegs zu allgemeiner Uebereinstimmung gelangt sind und die neue
Lehre noch im Entstehen begriffen ist, so muss es doch auch auf diesem Gebiete wichtig sein, hin und wieder die Errungenschaften
in allgemeinen Zügen zusammenzustellen und das neue Wissen, logisch prüfend, Eevue passiren zu lassen.
Dies ist in der That in ausgezeichneter Weise schon im vorigen Jahre von mehreren bewährten Forschern, u. A.
von v. Kölliker, Waldeyer, v. Lenhossek, Eamon y Cajal und Van Gebuchten, in grösserer oder geringerer Ausdehnung
geschehen, und ich selbst habe in einigen bisher nicht gedruckten Vorträgen in der hiesigen Akademie
d. Wiss. und in gewissen gelehrten Gesellschaften Versuche in derselben Richtung gemacht.
Man muss sich dabei natürlicher Weise sehr hüten, dazu beizutragen, das noch unsichere Wissen festzuschlagen
, das noch hypothetische zu Theorien zu erheben, sondern man muss v. A. das wahre Wissen zusammenfassen,
um zu erfahren, ob die aufgestellten Hypothesen mit den Thatsaclien Übereinsstimmen und ob aus den letzteren vielleicht
neue hypothetische Schlüsse zu ziehen sind. Wenn man nur nicht das Unsichere zur Thatsache macht und
das Hypothetische zur Theorie erhebt, so können solche Zusammenstellungen, obwohl in Einzelheiten gewiss oft
fehlerhaft, für das wissenschaftliche Streben förderlich sein.
Nachdem ich also meinen gegen Theorien etwas skeptischen Standpunkt betont habe, gehe ich zu dem vorliegenden
Gegenstand über. Ich werde diesmal nicht versuchen, das ganze Gebiet der neueren Nervenhistologie
einer Betrachtung zu unterwerfen, sondern ich will nur einen Theil desselben, nämlich das sensible und sensorische
Nervensystem, mit Hinsicht auf die Prinzipien seiner Einrichtung bei Wirbellosen und Wirbelthieren besprechen.
Es gilt hier, die phylogenetische Entwicklung im Baue des fraglichen Systems zu eruiren und aus derselben vielleicht
Hypothesen über die functionelle Einrichtung zu ziehen. Leider sind bezüglich dieser Fragen noch grosse Lücken in
unserem Wissen vorhanden. Was ich hier aussage, hat deshalb in mehreren Beziehungen gewissermassen nur eine
provisorische Geltung. Es ist also nur eine Zusammenfassung der wichtigsten Thatsachen, welche durch die Bestrebungen
der auf diesem Gebiete arbeitenden Forscher bisher dargelegt sind, sowie eine daraus resultirende hypothetische
, keineswegs aber festgestellte Lehre.
Ich werde das sensible und das sensorische Nervensystem gemeinschaftlich besprechen, weil diese beiden Systeme
aller Wahrscheinlichkeit nach einen gemeinsamen Ursprung haben und in ihrer Einrichtung nahe verwandt sind.
\ oi- don durch Hoyer, Cohnheim und Langerhans angebahnten Entdeckungen eines in der Epithelschicht der
Körperhallt der Wirbelthiere weit verbreiteten, äusserst reichlichen Systems feiner, frei und interzellulär endigender
Nervenverästelungen, war das Wissen darauf beschränkt, die peripherischen Enden des einfach sensiblen Nervensystems
dieser Thiere nur in gewisse, besonders gebaute Endorgane, die Meissnerschen Tastkörperchen, die
Krause'schen Endkolben, die Pacini'schen Körperchen und einige mit diesen verwandte Organe, zu verlegen.
Nach den erwähnten Entdeckungen aber wurde das fragliche sensible Nervensystem in dieser Hinsicht auf die
eigentlichen, meistens nur in ganz beschränktem Umfang vorkommenden Endorgane und das neu gefundene in-
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