http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/biol_unt_1895_07/0013
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Ueber ein dem Saccus vaseulosus entsprechendes Gebilde am Gehirn
des Mensehen und anderer Säugethiere.
Tafel I.
Bei der Untersuchuno- der Basis einer Reihe foetaler menschlicher Gehirne wurde meine Aufmerksamkeit unter
Anderem auf einige Erscheinungen am sogenannten Tuber cinereum gelenkt, die ich nie beschrieben gefunden hatte.
Höckerige Bildungen am Tuber cinereum waren mir zwar schon lange bekannt, ich hatte dieselben aber für
unregelmässig, inconstant gehalten. Bei der genaueren Nachforschung erwies es sich jedoch, dass auch hier eine
höchst interessante Anordnung vorkommt, die offenbar bisher nicht beachtet worden ist. Die Theile am »Unterhirn«
sind bekanntlich durch das ganze Wirbelthierreich mehr oder weniger rudimentär geblieben. Bei den Fischen sind
zwar einige Ansätze zur weiteren Entwicklung der fraglichen Hirntheile vorhanden; bei den höheren Gruppen ist
aber im Ganzen ein Stehenbleiben auf einem niedrigen rudimentären Standpunkte eingetreten. Solche rudimentäre
Verhältnisse bieten aber für die Morphologie und vor Allem für die Phylogenese ein besonders grosses Interesse dar.
Bekanntlich sind nun in den medianen Partien des centralen Nervensystems, namentlich aber des Gehirns, die rudimentären
, d. h. ursprünglicheren Verhältnisse, am meisten vertreten. Es war deshalb von vornherein anzunehmen,
dass auch in den mittleren Partien der Gehirnbasis interessante rudimentäre Bauverhältnisse zu entdecken sein
würden.
Schon bei der Untersuchung von Medianschnitten foetaler menschlicher Gehirne hatte ich vor den Corpora
mammillaria eine kleine rundliche Ausbuchtung der dünnen basalen Hirnwand beobachtet. Bei der Betrachtung der
Hirnbasis von 6- und 7-monatlichen Foetus sah ich nun dicht vor den Corpora mammillaria eine eigenthümliche, regelmässig
gestaltete, median gelegene Bildung (Fig. 3 der Taf. I, in doppelter Vergrösserung), welche sich den genannten
Corpora von vorn her wie ein Kleeblatt anschmiegte, indem sie zwischen dieselben einen schmalen, nach hinten spitz
endigenden medianen Zipfel und nach den beiden Seiten hin zwei breitere laterale Flügel entsendete, während nach
vorn hin ein kurzer und breiter Stiel gegen die Ansatzstelle des Stiels der Hypophyse hinauslief. Das fragliche
Gebilde stellte aber eine abgerundete Erhabenheit dar, welche sich über die Umgebung erhob und von ihr ziemlich
scharf abgesetzt war. Beim Vergleich mit den Medianschnitten erwies es sich, dass diese äussere Erhabenheit der an
diesen Schnitten vorkommenden rundlichen Ausbuchtung der basalen Hirnwand entspricht.
Diese Bildung zeigte sich an allen den von mir untersuchten foetalen menschlichen Gehirnen, d. h. nicht nur
an Gehirnen aus dem 6. und 7. Monate, an denen ich sie zuerst beobachtet hatte, sondern auch an solchen aus der
späteren Foetalzeit und ebenso an allen jüngeren Embryonen. Hier hatte ich sie sogar schon mehrmals abbilden
lassen, ohne aber ihre eigentliche Bedeutung zu verstehen, da ich glaubte, ihr \Torhandensein bei den jüngeren
Embryonen mit den noch wenig ausgebildeten Corpora mammillaria zusammenstellen zu können.
Zugleich beobachtete ich, dass das fragliche Gebilde nicht nur in den verschiedenen Entwicklungsstadien,
sondern auch bei den einzelnen Individuen in seinem Aussehen innerhalb gewisser Grenzen Variationen aufweist.
Eine solche Variation (bei einem Foetus vom 7. Monate), die recht allgemein vorkommt, ist in der Fig. 4 der Taf. I
m doppelter Vergrösserung abgebildet. Vor allem ist die seitliche Ausstrahlung der lateralen Flügelplatten zu
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