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Und doch habe ich dies Gebilde in keiner der vielen Arbeiten erwähnt gefunden, welche das menschliche
Gehirn im erwachsenen Zustande behandeln, und ebenso wenig habe ich es in den zahlreichen Figuren derselben
Arbeiten abgebildet gesehen.
Was stellt nun dieses Organ am menschlichen Gehirn dar? Seine Lage führt den Gedanken sofort auf den
Saccus vasculosus am Gehirn der Knochen- und Knorpelfische. Zwar ist dieses Organ bei diesen Thieren in
einer ganz speciellen Richtung ausgebildet. Seine Lage und seine Beziehungen zu den angrenzenden Theilen weisen
aber auf eine morphologische Uebereinstimmung zwischen ihm und dem fraglichen Organe beim Menschen hin. Bei
den Fischen tritt dieses Organ wohl oft in engere Beziehung zu der Hypophyse, weshalb es mehrere Forscher nur
als einen Anhang derselben aufgefasst haben. In der That hat man der morphologischen Bedeutung des Saccus
vasculosus mit besonderer Rücksicht auf seine eigene phylogenetische Entwicklung noch nicht genau und systematisch
nachgeforscht. Ich zweifle nicht daran, dass man bei einer solchen Nachforschung interessante Thatsachen entdecken
wird. Ich habe nun eine derartige Untersuchung begonnen. Es fehlen mir aber noch manche Glieder, um ein
solches Verständniss der Verhältnisse zu erhalten, class ich die Ergebnisse veröffentlichen will. Nach dem, was ich
bis jetzt erfahren habe, stehe ich nicht an, in dem fraglichen Organe eine besondere Neuromere zu erblicken.
Da mir aber, wie eben hervorgehoben wurde, noch manche Zwischenglieder fehlen, so will ich lieber vorsichtig
sein und die endgültige Entscheidung über das eben beschriebene Organ des menschlichen Gehirns, obwohl
ich in ihm ein Homologon des Saccus vasculosus der Fische erblicke, noch nicht abgeben. Ich werde also das Organ
des menschlichen Gehirns lieber als Eminentia saccularis bezeichnen. Die beiden lateralen Flügel desselben können
Alae laterales und der hintere schmale Fortsatz Processus intermammillaris genannt werden. Den sackförmigen
Hohlraum der Eminentia saccularis, welcher eine Ausstülpung des dritten Ventrikels darstellt, bezeichne ich als
Recessus saccularis. Bei der Beschreibung des dritten Ventrikels werde ich diese Verhältnisse einmal eingehender
besprechen.
Zu beiden Seiten der Eminentia saccularis, also an den Seitenpartien des sogenannten Tuber cinereum, findet
man jederseits eine mehr oder weniger ausgesprochene rundliche Erhabenheit, und dies sowohl am foetalen, wie am
erwachsenen menschlichen Gehirn (Taf. I, Fig. I—8). Zuweilen sind diese Erhabenheiten recht hervortretend
(Fig. 4, 7), und in sehr vielen Fällen laufen sie in je eine rundliche Warze aus (Fig. 6), welche der betreffenden
Gegend durch ihre symmetrische Lage ein eigentümliches Aussehen giebt. Diese beiden Erhabenheiten, welche also
auch am Gehirn des erwachsenen Menschen vorhanden sind, entsprechen ihrer Lage und ihren Beziehungen nach
wahrscheinlich den Lobi inferiores der Fische. Ich werde sie indessen bis auf Weiteres als Eminentiae laterales
Jiypencephali bezeichnen. Sie liegen in der Regel nicht in ganz derselben Frontalebene wie die Eminentia saccularis
, sondern ein wenig mehr nach vorn hin, doch stets distal vom Hypophysenstiele, und scheinen im Ganzen zu
der Eminentia saccularis in engerer Beziehung zu stehen, d. h. ihr näher anzugehören.
Was den Stiel der Hypophyse, den eigentlichen Trichter (Infundibulum) betrifft, so findet man an seinem
Ursprungstheil sehr oft, aber nicht constant, eine kolbig-rundliche Erweiterung, eine Art Bulbus infundibuli, die
sich in die allmählig schmäler werdende, schlangenartige Partie des Trichters fortsetzt, um dann in die eigentliche
Neurohypophyse überzugehen.
An den äusseren Theilen des Tuber cinereum, also lateralwärts von den Eminentiae laterales, traf ich ferner
stets eine Anzahl von Gefässlöchern, eine Area perforata lateralis hypencephali, die sich jederseits dem hinteren
inneren Rande der Tractus optici entlang erstreckte (Fig. 4 der Taf. I) und sich zuweilen unter demselben hineinschob
, in der Regel aber den äusseren Winkel des von dem Tractus opticus und Pedunculus cerebri eingefassten Feldes
einnahm (Fig. 6, 7, 8 der Taf. I).
Ehe ich von den Verhältnissen beim Menschen auf diejenigen bei anderen Säugethieren übergehe, habe ich
noch der Corpora mammillaria zu gedenken. Bei der Durchmusterung der vielen Beschreibungen und Abbildungen
dieser an jedem Gehirn so offen und klar vorliegenden Gebilde habe ich mich oft darüber verwundert, dass sie so selten
naturgetreu dargestellt sind. Fast immer findet man sie als zwei rundliche Erbsen oder ovale Bohnen wiedergegeben,
die durch eine offene Spalte von einander getrennt sind1. Dies ist aber an gut erhaltenen Präparaten nie der Fall.
Die Körperchen ähneln vielmehr zwei dicht gegen einander gedrückten Birnen (Taf. I, Fig. 5—8), deren schmälere
Enden nach aussen und etwas nach vorn hin gerichtet sind. Jedes dieser Körperchen ist nämlich nur in seinem
1 S. z. B. die Fig. 103 der in so vieler Hinsicht trefflichen neuesten Auflage (10. Edition) of Quain's Elements of Anatomy, 1893.
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