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gekommen ist und die ziemlich bemerkenswert]! sind, dar. Bei der Untersuchung panjabitischer Foetus ebenso wie
Kinder in den ersten Monaten fand er die meisten der angeführten Charaktere, also die genannten Gelenkfacetten an
dem unteren Ende des Oberschenkelknochens und des Schienbeines, die beiden Facetten am Sprungbein (Fig. 10 *),
die Retroversion des Schienbeinkopfes (Fig. Ii) etc. in ausgeprägtem Zustande vorhanden.

Dieses ist, wie Havelock Charles hervorhebt, unbestreitbar ein sehr sprechender Grund für die Annahme
der Vererbung erworbener Eigenschaften — Eigenschaften, die durch eine gewisse, von Generation zu Generation
wiederholte Stellung in sitzender Lage erworben worden sind.

Da man durch die Beobachtungen mehrerer Forscher erfahren hat, dass verschiedene andere uncivilisirte
Rassen, die ähnliche Sitzstellungen einzunehmen pflegen, in ihrer Skeletbildung ähnliche Eigenthümlichkeiten zeigen,
und da man ausserdem weiss, dass sich bei prähistorischen Skeleten aus der Steinperiode mehrere mit diesen Eigentümlichkeiten
übereinstimmende Charaktere finden, so erscheint mir nun die Annahme nicht kühn, dass diese Charaktere
, die in mehreren Hinsichten mit den Verhältnissen zusammenfallen, welche die Knochenbildung anthropoider
Affen aufweist, ursprünglicher als diejenigen der Knochenbildung der heutigen Europäer sind, dass sie in Zusammenhang
mit gewissen, oft beobachteten Körperstellungen entstanden, aus der Urzeit bis in die Gegenwart vererbt und bei
den Völkern, welche die betreffenden Körperstellungen fortfahrend angewandt haben, allmählig mehr entwickelt
worden sind.

Es sind offenbar die Europäer, bei denen infolge veränderter Lebensgewohnheiten, der Erfindung und des
allgemeinen Gebrauches der Bank und des Stuhles, die Skeletbildung allmählig von Generation zu Generation
Veränderungen erlitten hat. Dieselben haben es nicht, wie ihre Urväter und noch heute die Orientalen und viele
wilde Völker, nöthig gehabt, auf ihren Fersen auf der Erde zu sitzen, und dadurch hat sich bei ihnen allmählig das
Vermögen verloren, diese Körperstellungen einzunehmen. Ihre Gelenke und die dieselben umgebenden Knochen
haben allmählig Veränderungen erfahren;, mehrere für die betreffenden Stellungen erforderlichen Gelenkfacetten sind
allmählig verwischt worden und verschwunden. Es sind also wir Europäer, die infolge veränderter Gewohnheiten
Veränderungen erlitten haben, und es ist bei uns, wo diese Veränderungen allmählig vererbt worden sind.

Die Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften werden durch unsere Skeletbildung erbracht.

Als ich über diese letztgenannte Frage nachdachte, kam ich auf den Gedanken, ob nicht vielleicht auch bei
den europäischen Völkern die Entwicklung des Foetus hierin noch Anknüpfungen an das ursprüngliche Stadium zeigen
könnte. Wir besitzen ja im menschlichen Organismus verschiedene
rudimentäre Bildungen aus früheren phylogenetischen Entwicklungsstadien
. Und übrigens trifft man bei der Untersuchung einer grösseren
Anzahl europäischer Skelete, wenn auch nur in einem geringen Procent
, mehrere der oben besprochenen Charaktere, sowohl die Retroversion
, wie die Platyknemie des Schienbeines und die kleinen
Gelenkfacetten am Schienbeine und dem Sprungbeine an.

Ich unternahm daher eine Untersuchung einer Anzahl schwedischer
Foetus vom 3. Monat bis in das ausgetragene Stadium und
fand nun zu meiner Ueberraschung, dass wenigstens der eine der
gesammten Charaktere, die Retroversion des Schienbeines, eine auch
bei dem schwedischen Foetus constant vorkommende Eigenschaft ist.
Diese Retroversion ist also nicht nur ein die Panjabiten — und wahrscheinlich
die meisten, wenn nicht alle wilden und ^uncivilisirten^
Völker — während des Foetallebens auszeichnender Charakter, sondern
sie gehört in einem ausgeprägten Grade auch den Europäern
an (Fig. 12 /).

Ein gleiches ist das Verhältniss mit der convexen Form der äusseren Gelenkfläche des Schienbeines (y). Dieselbe
findet sich bei jedem von mir untersuchten schwedischen Foetus vom 3. Monat bis in die Geburtsperiode.

9*

i y TL

Fig. 12. Schienbein und Sprungbein eines schwedischen
Foetus. I das obere Ende des Schienbeines,
von der inneren (i) und der äusseren Seite (y) gesehen;
II das untere Ende des Schienbeines, schief von unten-
vorn gesehen; a die kleine accessorische Gelenkfacette
am vorderen Rande; III das Sprungbein von oben gesehen
; 1. das grosse Sprungbeingelenk (Trochlea); 2. u.
3. die beiden accessorischen Gelenkfacetten; 4. die
birnenförmige Seitengelenkfläche; 5. die Gelenkfläche
des Sprungbeinkopfes. Vergrössert.


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