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Nach dieser Besprechung der Zusammensetzung und Entwicklung des Spitzenstückes bei den Singvögel-
spermien im allgemeinen kehre ich jetzt zu der Beschreibung der Spermien von Chloris zurück.
Am Anfang des Schwanzes findet sich am Kopfe der proximale Centraikörper als ein sich dunkel färbender
Kuchen, welcher indessen in der Kegel durch den oben bei den Corviden erwähnten, schon von v. Brunn (1884) und
dann von E. Ballowitz genauer beschriebenen Körper so verborgen liegt, dass man ihn nicht gut wahrnimmt,
falls nicht dieser Körper abgetrennt wird. Dieser letztgenannte Körper, den man gewöhnlich als »Verbindungsstück»
aufführt, entspricht aber an sich nicht dem Spermiumteil, den ich von Anfang an damit gemeint habe, weil
dieses Stück gerade die vorderste Partie des Schwanzes sein soll und in sich den Axenfaden enthalten muss. Der
bei den Spermien der Passeres vorkommende fragliche Körper, den ich eigentümlicher Weise bei Turdus, Sturmis
und Muscicapa vermisste, ist bei Chloris vorhanden und bildet ein ziemlich langes, sackförmiges Gebilde, welches
am Schwanzansatze hinter dem Kopfe befestigt und, etwas spiralig gewunden, dem obersten Schwanzteil angeheftet
ist. Er färbt sich stark mit Eosanilin und Hämatoxvlin, zeigt keinen deutlichen inneren Bau und häno-t zuweilen
mit seinem hinteren abgerundeten Ende frei vom Schwänze hinaus; zuweilen nimmt man jedoch in ihm eine
schwache körnige Beschaffenheit wahr. Es ist sehr möglich, dass dieser Körper den Ingredienzien eines Verbindungsstückes
angehört; die Beweise dafür liegen indessen nicht klar vor; für eine Auffassung desselben als zu
einem solchen Stück gehörig sprechen teils seine Lage am Anfang des Schwanzes, teils das Fehlen eines Arer-
bindungsstückes von der gewöhnlichen, auch bei den anderen Vogelordnungen vorkommenden Beschaffenheit. Gegen
dieselbe Auffassung sprechen aber nicht nur seine Seiten ständige Lage, sondern v. a. seine Entwicklung. Wenn
man die letztere verfolgt, so findet man schon in den frühen Stadien neben dem Schwanzansatz einen kugeligen
Körper (Taf. XXXVI, Fig. 11, 10, 9, 8), in welchem kein Bau erkennbar ist. Dieser Körper vergrössert sich nur
sehr allmählich (Fig. 7, 6, 5), zeigt aber stets dieselbe Beschaffenheit und geht dann keine andere Veränderung ein
als die Verlängerung zu dem schliesslichen sackförmigen Gebilde (Fig. 4, 1). Ganz dasselbe Verhalten bietet dieser
Körper bei den anderen Singvögeln, wenn er vorhanden ist, dar. So z. B. bei Fringillla coelebs (Taf. XXXIV, Fig.
19, 14, 13, 18, 17, 16, 15, 8, 7, 4 etc.); hier findet man ihn zuweilen neben dem eigentlichen Kopfe liegend (Fig. 10)
oder vom Kopfe abgetrennt und nach hinten verschoben (Fig. 14, 15, 21, 20). Das Studium der Entwicklung
dieses Körpers gibt also keine wirkliche Erläuterung von seiner Bedeutung: mit der Entwicklung eines echten
Verbindungsstückes hat sie keine zutreffende Ähnlichkeit. Es wäre nur möglich, dass er einem Teil eines solchen
Stückes entspreche, und dann hat man v. a. an das Nebenkernorgan (die Mitochondrien) zu denken; leider gibt
aber das Studium der Entwicklungsphasen des fraglichen Körpers für eine derartige Deutung keine wirklichen
Anhaltspunkte: einen deutlich körnigen Bau konnte ich bis jetzt nie finden. Bis auf weiteres muss ich mich also
skeptisch in dieser Frage stellen; möglicher Weise gelingt es einmal, Vögel zu finden, deren Spermien Ubergangs-
formen zwischen diesen bei den Singvögeln bekannten und denen der anderen Vogelordnungen,, bei denen der
echte Sauropsidentypus der Spermien vorkommt, aufweisen.
Was nun den eigentlichen Schwanz der Spermien von Chloris betrifft, so ist derselbe, wie die Fig. 1 der
Taf. XXXVI zeigt, verhältnismässig sehr lang; seine Länge verhält sich zu derjenigen der Turdusspermien ungefähr
wie 5: 2, und er ist noch viel länger als der Schwanz der Spermien der Krähe und der Elster. Wie bei den
Spermien von Turdus, besteht er aber aus einem gestreckten Axenfaden, welcher schmal ist und, allmählich noch
weiter verdünnt, in einen dünnen, zugespitzten Endfaden, ohne eigentliches Endstück, ausläuft. Um diesen gestreckten
Faden ist mit lang ausgezogenen (etwa 30) Windungen ein ebenso schmaler, cylindrischer Spiralstrang
gedreht, welcher jedoch den hintersten Teil des gestreckten Axenfadens frei lässt, indem er nur etwa die vorderen
5/e desselben umwindet und dann plötzlich aufhört.
Wenn man nun, wie bei dem Kopf und dessen Spitzenstück, auch beim Schwanz untersucht, wie sich das
reife Stadium aus den früheren ausbildet, so findet man, dass sich der Schwanzfaden sehr früh entwickelt. Schon
in den ersten Spermidenstadien entsteht der Schwanzfaden, indem er, wie gewöhnlich, von dem am Umfang des
Kopfes (Kernes) gelegenen Centraikörper schnell hinauswächst und sich an der Oberfläche der Spermidenzelle
reichlich windet (Taf. XXXVI, Fig. 11,10, 8). Nachdem sich die Spermiden mit den Fusszellen vereinigt haben,
und ihre Protoplasmamasse mehr in die Länge gedehnt worden ist, löst sich der hintere Teil des Schwanzfadens
aus ihr und ragt als freier Faden in das Kanallumen hinein. Die Fig. 7 und 5 (Taf. XXXVI) stellen
zwei solche Spermidenstadien von Chloris dar, und die Fig. 16 derselben Taf. gibt ein entsprechendes von
Chrysomitris wieder. In dem langen Protoplasmaklumpen, in dem der Schwanzfaden eine Strecke verläuft, um in
der Pegel etwas vor dessen Ende hinauszutreten, erkennt man eine grosse Menge von kugeligen Körnern ver-
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