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14. Wilson hat auch hervorgehoben, dass vielpolige Teilungsfiguren entstehen können. Ich habe
solche Eier oft angetroffen, welche in der Tat recht eigentümliche und wechselnde Bilder darboten. Ich kann
nicht umhin, als Beispiel hier ein solches Ei von nicht zu komplizierter, prägnanter Konstruktion wiederzugeben;
die Fig. 11 der Taf. VIII stellt ein Ei dar, wo der Kern zu drei Zipfelrj ausgezogen ist, an denen je eine Sphäre
mit ihrer Strahlung liegt; rings herum sieht man in der Eisubstanz die gewöhnliche Balkenanordnung.
15. Wenn man nun diejenigen Eier ganz besonders berücksichtigen will, welche sich in mehr normaler
Weise entwickeln, um zu normal gestalteten Morula', Blastulse, Gastrulse und Plutei zu werden, so muss ich gestehen
, dass man in allen diesen Präparaten, auch den allerbesten, relativ wenige ganz normal verlaufende Kernteilungen
antrifft. Es kommen zwar hier und da Stadien von solchen vor; es gelang mir aber nicht, wie in den
normal befruchteten Eiern, die ganze Keine solcher Stadien zusammenzustellen. Dagegen gelang es mir, gerade
wie Wilson, in den Blastomeren der parthenogenetisch sich entwickelnden Blastulse und Grastrulse sehr schöne,
normal verlaufende Mitosen in zahlreicher Menge zu beobachten. Da es hier nicht meine Absicht ist, auf diesen
Prozess näher einzugehen, beschränke ich mich darauf, in der Fig. 13 der Taf. VIII ein Stadium solcher Kernteilungen
in einer Blastomere wiederzugeben. Weil es von Interesse ist, die Anzahl der Chromosomen in solchen
sich teilenden Kernen festzustellen, bemühte ich mich, dies zu tun. In den meisten Fällen ist eine exakte Zählung
solcher Chromosomen sehr schwer durchzuführen, weil sie gewöhnlich einander mehr oder weniger decken; oder
auch ist der Schnitt so gefallen, dass sie nur teilweise im Präparate geblieben sind. Einigemal konnte ich aber,
wie Wilson, die genaue Zählung ausführen und fand dann, wie er, 18 Chromosomen. In Fig. 14 der Taf. VIII
ist ein solcher Fall abgebildet, wo der Schnitt die Spindel ungefähr der Quere nach und in der Nähe der ange-
hörigen Centrosphäre getroffen hat; die achtzehn Chromosomenschlingen sind hier in ihrer gegenseitigen Lage und
bei starker Vergrösserung (Zeiss' 2 mm Ap. 1,30, Okul. 12, und noch dazu 3 mal linear vergrössert) wiedergegeben.
Ich will auf diese hochinteressanten Phänomene diesmal nicht weiter eingehen, hoffe aber, ein anderes Mal
auf dieselben zurückkommen zu können, falls es mir vergönnt wird, durch fortgesetzte Untersuchungen noch
etwas tiefer in die schwierigen Probleme einzudringen.
Aus der hier oben in kurzgefasster Form gelieferten Darstellung dürfte nun hervorgehen, dass v. a. in den
früheren Stadien die strukturellen Verhältnisse bei der parthenogenetischen Entwicklung der Seeigeleier zwar gewisse
Ähnlichkeiten mit denen der normal befruchteten Eier darbieten, dass aber auch bedeutende Differenzen vorkommen.
Bei den parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern verläuft der ganze Entwicklungsprozess viel langsamer
und unregelmässiger. Zwar tritt, besonders bei der Anwendung der Buttersäuremethode, die Abhebung der Dottermembran
schon früh und schnell ein. Die primäre Strahlung kann auch recht früh entstehen. Die eigentliche Teilung
des Kerns und des Eikörpers lässt aber lange auf sich warten. Dazu kommt, dass auch bei den gelungensten
Experimenten manche Eier in abnorme Entwicklungsbahnen eintreten, und zwar sowohl hinsichtlich der Zeit als
der strukturellen Verhältnisse, wodurch eine mehr oder weniger grosse Anzahl von anormalen Variationen entstehen.
Da, wie nicht hinreichend genug hervorgehoben werden kann, dass hier keine wirkliche Befruchtung, sondern
nur eine in verschiedener Weise künstlich hervorgerufene Art »Reiz» zur Furchung des Eies vorliegt, so ist die
Zusammensetzung des Eies, und v. a. des Kerns, eine andere, was auch an der Chromosomenzahl sichtbar ist. Die
Entstehung der Centrosphären bei dieser parthenogenetischen Entwicklung ist noch nicht sicher erklärt, obwohl es
scheinen kann, dass Wilson darin Recht hat, dass sie de novo gebildet werden; jedenfalls haben wir für ihre Entstehung
noch keine andere gesicherte Deutung.
Was schliesslich die Erklärung des ganzen Prozesses, der künstlich hervorgerufenen parthenogenetischen
Entwicklung der Eier, betrifft, so kann ich nicht umhin, mich der skeptischen Anschauung von Delage in seiner
oben angeführten Arbeit vom J. 1908 anzuschliessen. Nachdem er dort die bisherigen Deutungsversuche und
Theorien als ganz unzureichend begründet erklärt hat, kommt er zu dem Schluss, dass man aus den Ergebnissen
nur ersehen kann, dass die betreffenden chemischen und physikalischen Einflüsse, welche diese partheno-
genetische Entwicklung hervorrufen, nur das Ei auto-parthenogenetisch machen. Er nimmt hierbei von seiner eigenen
früheren Theorie Abstand, dass die Reaktionen in einer kombinierten Koagulation und Auflösung bestehen
dürften, und tritt auch ^eo-en die verschiedenen Theorien von Loeb auf. Meiner Ansicht nach ist die Fra^e
noch sehr dunkel und das Problem nicht gelöst. Es ist aber ein bedeutendes Verdienst von Loeb und Delage
sowie von den übrigen Forschern, welche sich der Erforschung dieses Problems gewidmet haben, nicht nur die
vorkommenden Erscheinungen zu verfolgen als auch ihre Ursachen nachzuspüren, obwohl die schliessliche Lösung
des Problems ihnen noch keineswegs gelungen ist.
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