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Hauptsache ist, sagt er, »dass in den Zellen aller untersuchten Thiere ausser diesen Körnern auch Fäden vorkommen
. Dies muss ich v. Lenhossek gegenüber ganz bestimmt aufrecht halten und belege es hier durch eine
Anzahl Figuren . . . Die Fädchen stehen jedenfalls vielfach, wenn nicht durchweg, mit den Körnerhaufen in Verbindung
und es macht mir den Eindruck, als ob letztere nur Ein- oder Auflagerungen von tingirbaren Grranulis an
den Fäden wären. Letztere haben, wie ich früher beschrieb, geknickte, wellige Verläufe. An stärker ausgezogenen
(Eisenalaunhämatoxylin-)Präparaten kann man diese Verläufe sehr gut verfolgen und sehen, dass sie nicht
eben »minimal kurz» sind, wie v. Lenhossek meine Beschreibung aufgefasst hat, man ist aber nicht in der Lage
zu entscheiden, ob sie etwa ein zusammenhängendes Netzwerk bilden; bei stark extrahirten Präparaten thun sie dies
nicht. . . Ausser den Körnergebilden und Fäden existirt in der Zelle eine interfilare, kaum färbbare Zwischensubstanz
,, welche mir bei verengter Blende mehr einen feingranulirten als einen schaumigen Eindruck macht;
doch wage ich nicht zu entscheiden, ob diese Granulirung Eeagentienprodukt oder Natur ist». »Die Existenz,
eines Fadenwerkes in den Zellen an den Präparaten steht also ausser Zweifel», fügt Flemming hinzu: »Es könnte
nun höchstens noch die Frage sein, ob dieses als ein Kunstprodukt der Reagentien anzusehen wäre. Bekanntlich
hat Alpred Fischer kürzlich in Peptonlösungen etc. durch Fixirungsmittel Ausfällungen erzielt, die die Form
theils von Körnchen, theils von netzigen Structuren haben. Dass es sich aber hier um derartiges handeln könnte,
ist nicht anzunehmen.»
In den zentralen Nervenzellen, betonte Flemming im Wiederspruch zu den Angaben von Nissl und v.
Lenhossek, dass er nicht daran zweifle, dass sie das gesehen, was sie schildern; »ich . . . möchte aber nach meinen
eigenen Prüfungen doch daran festhalten, dass neben diesen Schollen noch eine feine streifige Structur des
Zellleibes von im Granzen längsparalleler Anordnung existirt.»
In seiner letzten referierenden Schrift über die Morphologie der Zelle x) gab Flemming auch eine Übersicht
der neueren Angaben und Ansichten der Autoren über die Struktur der Nervenzellen. Er hob hierbei hervor,
dass er unter »fibrillärer Struktur» nicht bloss »eine parallelfaserige oder radiäre verstehe, wie sie an Fortsätzen
und Polkegeln vorkommen, sondern auch das retikuläre Fadenwerk, das im Körper der Zellen vorliegt». Mehrere
Autoren (Solger, Lugaro, Levi, Marinesco, Van Gtehuchten) hatten einen »fibrillären» Bau des Körpers der Nervenzelle
anerkannt und geschildert, während v. Lenhossek und Held nicht damit einverstanden waren. Held hat
sagt er, »einen fibrillären Bau weder in der Substanz der Nervenzelle finden können, noch auch in den Axen
cylindern». Die »zweifellose Längsstruktur» betrachtete Held »nicht als einen Ausdruck von Fibrillen, sondern
als den eines längsmaschigen Wabenwerks». Hierzu betonte Flemming, dass er gar nichts dagegen habe, »dass die
Fibrillen der Nervenfasern, wie es einige wollen, nicht ganz isolierte Gebilde, sondern durch schräge Zwischen-
fäserschen verbunden sein können» ; und er gab zu, »dass in der That netzförmige Zusammenhänge der Fadenwerke
in Zellen vorkommen».
Ich habe die obigen Anführungen hier gemacht, um zu betonen, dass man in dem Körper der Nervenzellen
Fäserchen und Körner schon ziemlich lange wahrgenommen hatte, obwohl die Anschauungen hinsichtlich
derselben ziemlich schwankend waren. Flemming, welcher diese Bildungen am genauesten schilderte, veränderte
auch in seinen Darstellungen ein wenig die Begriffe; aus seinen späteren Äusserungen scheint hervorzugehen,
dass er ausser den von ihm früher (1882) beschriebenen feinen gewundenen Fädchen und den Körnern und
Schollen in einer homogenen Grrundsubstanz, noch dazu in der »fibrillären Struktur» — »dem retikulären Faden-
werk» — noch eine »parallelfaserige» oder »radiäre» Struktur wahrgenommen hatte, die er besonders in den Fortsätzen
und Polkegeln fand, und die als dem von Max Schultze schon längst mehr oder weniger deutlich beobachteten
Fibrillenwerk gehörig angesehen werden muss. Infolge der noch zu wenig ausgebildeten histologischen
Technik konnte aber Flemming die einzelnen von ihm wahrgenommenen Faserarten nicht voneinander differenzieren
und deutlich unterscheiden.
Erst durch die Erfindung der neuen Färbungsmethoden von Apathy, Bethe, Cajal und Bielschowski gelang
es, in den Körpern der Nervenzellen Systeme von Fibrillen nachzuweisen, welche in mehr oder weniger reichlicher
Menge und in verschiedener Weise in den verschiedenen Zellarten das Protoplasma durchziehen und von
manchen Forschern als das eigentlich wichtige, »leitende» Element in dem Nervensystem betrachtet wurden.
Durch die verhältnismässig leichte Darstellungsweise dieser Fibrillensysteme in scharf gefärbter, differenzierter
Form zog die nähere Untersuchung dieses Zellelementes in erster Linie die Aufmerksamkeit auf sich, woneben die
7) W. Flemming, Morphologie der Zelle. Merkel-Bonnet's Ergebnisse, 1897.
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