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auch hinsichtlich der chemischen Veränderungen und vor allem der Spaltungen der Stoffe der Fall — natürlich
abgesehen von den chemischen Umsetzungen, welche die Fixiert!üssigkeit direkt verursacht. Es kann dies zwar
nur eine lose Vermutung sein, für die ich keine sicheren Gründe darzubringen vermag. Da ich aber in den Zellen,
und vor allem in Kernen, bei verschiedenen guten Fixierungs- und bestimmten Färbungsmethoden nicht nur in
•denselben Arten von Organen, sondern auch in verschiedenen Organen und bei verschiedenen Tierarten in struktureller
Hinsicht dieselben oder nur wenig differierende Ergebnisse bekomme, spricht ein solches Verhalten in hohem
Grade für ein Vorhandensein von natürlichen gesetzlichen Vorgängen im Haushalt der Zellen und Organe, Vorgänge
, die sich also noch in den fixierten Präparaten zeigen.
Als solche betrachte ich nun ganz besonders die oben beschriebenen, durch das Biondigemisch nachgewiesenen
verschiedenen Affinitäten zu den einzelnen Farben, und zwar vor allem in den verschiedenen Stadien und Phasen
der Wirksamkeit der Zellen, der Ausbildung und Teilung derselben. Nach allem, was ich gesehen habe, kann ich
die Befunde nicht anders als von chemischen und physikalischen Veränderungen in der Zelltätigkeit herrührend deuten.
Die fast konstante Veränderung der Färbbarkeit der ovarialen Eier, und ganz besonders die regelmässig fortlaufende
Veränderung derselben während der Teilungsphasen, lassen sich schwerlich in anderer Weise erklären. Weil man
nun durch die Ergebnisse der Untersuchungen der chemischen Fachmänner weiss, dass die stark phosphorhaltige
Nukleinsäure der Zellkerne eine grosse Affinität zum Methylgrün besitzt, und dass die Chromosomen des Spindelstadiums
der sich teilenden Zelle aus dem Biondigemisch diese grüne Farbe intensiv und ganz spezifisch aufnehmen,
so lässt sich wohl daraus ohne Zwang schliessen, dass diese, die Chromosomen, ganz überwiegend aus Nukleinsäure
bestehen. Und weil man ebenfalls konstant beobachten kann, dass in den Stadien vor und nach diesem Spindelstadium
der Zellteilung die chromatische Substanz, welche in diesem Stadium zu den grünen Chromosomen
zusammentritt, sich zu kleineren Körnern verteilt, welche eine rötliche oder rötlich-violette Farbe angenommen haben
so lässt sich dies kaum anders erklären als durch eine chemische Veränderung der Chromatinsubstanz, die schon
im Leben der Zellen geschehen ist. Und weil man durch die Befunde der Chemiker erfahren hat, dass dies auf einer
Vermehrung der Evweissstojfe und relativen Verminderung des Phosphors beruhe, so liegt es ja besonders nahe, diese
Veränderung der Zellen in eine solche Zelltätigkeit zu verlegen. In ähnlicher Weise lassen sich die Veränderungen
der Färbbarkeit bei der Ausbildung der Eier in den Ovarien sowie der Nervenzellen erklären. Es besteht
aber zwischen diesen beiden grossen Zellgruppen eine auffallende Differenz. Während die letztere Gruppe, die
der Nervenzellen, nach der Ausbildung aus dem Neuroblaststadium die Möglichkeit zur weiteren mitotischen
Teilung normal gänzlich zu verlieren scheint, behält die Gruppe der Eier in hohem Grade dies ihr Proliferationsver-
mögen, obwohl es erst nach ihrer Abgabe aus den Ovarien von neuem hervortritt, und zwar in der Eegel nur durch
den Befruchtungsakt, aber doch in verschiedenen Fällen auch infolge einer parthenogenetisch wirkenden Reizung.
Ich will diesmal nicht weiter auf eine Diskussion über die fraglichen interessanten und verlockenden Probleme
eingehen. Aus dem obigen geht aber hervor, dass ich in mancher Hinsicht zu ähnlichen Schlüssen und
Reflexionen gelangt bin, wie sie M. Heidenhain mehr oder weniger bestimmt angedeutet und ausgesprochen hat.
Dass wir uns in diesen wichtigen Fragen noch reserviert ausdrücken, ist ja richtig und natürlich. Ich konnte
aber, nachdem ich, schon ehe ich die betreffenden Äusserungen Heidenhain's bemerkt, die verschiedenen Prozesse
in grosser Umfassung studiert hatte, nicht umhin, eine recht bestimmte Überzeugung zu gewinnen, dass hier ge-
setzmässige Veränderungen in der Tätigkeit der Zellen vorliegen, welche die verschiedenen Farbenreaktionen gesetz-
mässig angeben.
m
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